Ergibt es wirklich Sinn, parallel zum bis 2022 langsam laufenden Atomausstieg nun das nächste Ausstiegsprojekt zu kommunizieren? Befeuern wir damit nicht all diejenigen, die uns Grünen Realitätsferne, Blockade und Blackouts vorhalten wollen?
Nein! Denn ein Kohleausstieg bis spätestens 2030 ist klimapolitisch notwendig, wirtschaftlich sinnvoll und gesellschaftlich gewollt.
Ein altes Braunkohlekraftwerk pustet bis zu 1.200g CO2/kWh in die Luft. Auch die CO2-Emissionen eines neuen Steinkohlekraftwerkes liegen über 600g. In Zeiten eines Klimawandels, der auf +4°C globale Erwärmung zuschreitet, ist deshalb nicht nur der Neubau, sondern auch der Betrieb von Kohlekraftwerken unverantwortlich. Dennoch wird derzeit debattiert, woher die Energie kommen soll, wenn Sonne und Wind gerade nicht da und ausreichend Speicherkapazitäten noch nicht vorhanden sind. Minister Altmaier macht daraus die Botschaft, dass der Ausbau der Erneuerbaren auch Kohlekraftwerke braucht. Das ist falsch, denn die benötigte „Residuallast“ sollten vor allem hocheffiziente und flexible Gaskraftwerke sowie Lastmanagement erbringen. Kohle-, genauso wie Atomkraft, verstopft nur die Netze. Erneuerbare und Kohle dürfen keine Scheinehe unter dem Motto „Versorgungssicherheit“ eingehen, den Scheidungen sind bekanntlich sehr teuer. Es ist daher zu begrüßen, wenn Steinkohlekraftwerke von den preiswerten Erneuerbaren Energien aus dem Markt gedrängt werden. Das wollten wir doch immer!
Gerade Braunkohle muss endlich ihren wahren Preis bekommen. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat berechnet, dass die externen Kosten bei 10,75 ct/kWh liegen. Damit wäre der klimaschädlichste unter den Energieträgern längst aus dem Markt gefallen. Die vielen Steuerbefreiungen, u.a. bei der Förderabgabe, können ohne mutige Politik nicht angegangen werden. Das auch von Rot-Grün unterstützte Instrument des Emissionshandels ist zahnlos und lässt keinerlei positive Effekte in naher Zukunft vermuten. Die Änderung des Bundesbergrechtes, welches eine ökologische Politik massiv behindert, muss deshalb eine zentrale grüne Forderung sein.
Gesellschaft und Wirtschaft brauchen nachvollziehbare Argumente und Planungssicherheit, um die Energiewende zu akzeptieren und zu unterstützen. Der Atomausstieg wird heute von keiner seriösen Person mehr bestritten, ist von einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gewollt und auch die meisten Unternehmen haben ihre Strategien entsprechend angepasst. Das reicht jedoch nicht, denn zwischen 2022 und den 2050-Zielen der Bundesregierung ist viel Platz. Der Klimawandel gebietet uns aber, so schnell wie möglich vom fossilistischen Pfad abzukommen. Ein Klimaschutzgesetz mit Emissionsfahrplan, Sanktionsmöglichkeiten und einem festgeschriebenen Kohleausstieg bis 2030 ist deshalb auch aus Sicht von Unternehmen sinnvoll.
Es ergibt m.E. auch Sinn, beim Kohleausstieg statt Detailverliebtheit eher auf Konsequenz und Rückgrat zu setzen. Statt einen – wie von Greenpeace vorgeschlagenen – festen Ausstiegsfahrplan à la Atomkompromiss zu haben, sollten wir uns neben dem 2030-Ziel auf geeignete Instrumente verständigen. Über einen hohen Mindestwirkungsgrad und Flexibilitätsanforderungen müssen neue Kohlekraftwerke grundsätzlich ausgeschlossen werden, denn beide Kriterien sind mit Blick auf Umweltschäden und Versorgungsdebatte begründ- und durchsetzbar. Bestandsanlagen dagegen müssen peu à peu vom Netz gehen. Schon jetzt arbeiten immer weniger (und immer ältere) Menschen in diesem sterbenden Sektor. Auf zehn Megawatt Kraftwerksleistung in modernen Kohlekraftwerken kommt nur noch ein Arbeitsplatz. Es sollte also nicht mehr um Job-Rettung und Nostalgie gehen, sondern um einen sozialverträglichen Abbau, z.B. mittels Umschulungen.
„Leave the coal in the hole!“ muss das Motto sein, doch Kohle ist global auf dem Vormarsch. Seit den 1960ern wurde nicht mehr so viel davon verbrannt wie heute. Da in den USA vermehrt auf die ebenfalls sehr umweltschädigende Fracking-Technologie zur Gasgewinnung gesetzt wird, sank der Preis zuletzt stark – was wiederum die Nachfrage anheizte. Der Umstieg auf weniger CO2-intensive Energieträger in einem Land nutzt also nichts, wenn die Kohle dafür exportiert wird. Ebenso ist ein regional begrenzter CO2-Handel klimapolitisch wenig sinnvoll, selbst wenn dadurch auf die heimische Industrie eine Lenkungswirkung erzielt werden kann, solange die Verbrennung von Kohle woanders noch wirtschaftlich ist, . Mit sinkender Nachfrage nach Kohle muss auch ein sinkendes Angebot einhergehen. Deshalb bedarf es einer Förderabgabe auf Kohle, welche in dem Moment auf der Rechnung erscheint, in der die Kohle aus dem Boden geholt wird. Dann ist es ganz egal, wer sie wann verbrennt: die Förderung wird unrentabel. Angesichts o.g. Förderabgabenbefreiung würde sich hier ein konkreter Ansatz anbieten, der neben einer Klimawirkung auch für den öffentlichen Haushalt ein Segen sein kann. Nicht umsonst hat Bundesfinanzminister Schäuble diese vor einigen Jahren schon einmal vorgeschlagen.
Warum sollten wir nun also laut nach dem Kohleausstieg schreien? Weil es neben klimawissenschaftlicher Notwendigkeit auch aus parteipolitischem Kalkül Sinn ergibt. Keine Partei steht der Kohleindustrie an Spree und Rhein so nah wie die SPD. So hat bspw. der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit Michael Donnermeyer einen CCS-Lobbyisten zu seinem Sprecher für den Wahlkampf ausgewählt. Und genau gegenüber dieser Kohle-hörigen SPD müssen wir aus zwei Gründen eine klare Kante zeigen. Erstens haben wir bisher eine inhaltliche Leerstelle unter der Überschrift „rote Linien und Kernforderungen“ für das Wahljahr. Diese sollte glaubwürdig gefüllt werden, auch um in möglichen Koalitionsverhandlungen deutlicher Rückgrat beweisen zu können. Zweitens gibt es gerade in unserem Kerngebiet viele Überschneidungen mit der sozialdemokratischen Plattform, was für die Mobilisierung unserer Kernwähler/innenschaft wenig förderlich ist. So wettert Gabriel gegen Gorleben, Kelber kämpft für faire Energiepreise und Hempelmann verteidigt das EEG. Einzig Hannelore Kraft und Garrelt Duin scheinen mit ihrer neu entfachten Liebe zur Industrie ein wenig vom alten Feindbild der Betonköpfe zu bedienen. Lasst uns in rot-grüner Verbundenheit herzhaft streiten, denn hier gibt es noch echten Dissens und ein Grünes Alleinstellungsmerkmal.
3. November 2012 um 19:10
Weitgehend Beifall. Aber warum eigentlich der Kohle noch einen Preiszuschlag geben, wo doch klar ist, dass sie mit dem Malus eh aus dem Rennen ist. Warum nicht gleich ehrlich klipp und klar: Leave the coal in the hole? Übersetzt in Politik: Strom aus Kohlekraftwerken wird ab 2030 nicht mehr gestattet, und das jetzt schon deklarieren. Und Gaskraftwerke auch nicht mehr einfach so weil Gas so schön Kohlenstoff arm ist, sondern nur noch hocheffizient als Heizkraftwerke. Zusätzlichen Strom aus Brennstoffen also nur noch in Kraft-Wärme-Kopplung. Und apropos Brennstoff: der größte Teil davon wird bisher mit 90% Exergievernichtung in Heizkesseln verplempert. Mein Vorschlag: jetzt schon klar machen, dass ab 2020 neue Wärmeerzeuger mit Brennstofffeuerung nur noch in KWK akzeptiert werden, egal ob fossil oder bio. Dänemark macht damit übrigens schon ab nächstem Jahr Ernst: neue Heizkessel sind dann nicht mehr erlaubt. Die neue EU-Energieeffizienz-Richtlinie, die, soeben in Kraft getreten, von den Mitgliedsstaaten bis April 2014 in nationale Gesetze umgesetzt werden muss, kann Anlass geben, auch hier in Deutschland neue Maßstäbe zu setzen. Klar ist, wir müssen die Dekarbonisierung massiv beschleunigen, und Europa muss vorangehen, wer sonst?
Adi Golbach
4. November 2012 um 20:07
Hallo Adi,
das ist eine alte grüne Forderung aus der Zeit, als eine 100-%-ige Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien noch als unrealistisch erschien.
Wenn die grüne Forderung nach 100 % Strom aus EE bis 1930 realisiert würde, bräuchte man aber keine Heizkraftwerke mehr auf Erdgasbasis.
Wenn wir uns dem Ziel nähern, wird die Stromversorgung zu großen Teilen des Jahres vollständig von Wind- und Solarenergie gedeckt werden. Das Problem werden dann die Zeiten sein, an denen dies nicht der Fall ist, im Extrem in den beiden windstill-trüben Winterwochen, in denen dann in ganzen Regionen kaum Strom aus Sonne oder Wind produziert wird. Dann muss der Strom entweder aus Langzeitspeichern kommen, die es in Deutschland nur begrenzt geben wird, aus anderen Regionen mit anderen Wetter- bzw. Klimaverhältnissen oder übergangsweise aus Gas-Spitzenlastkraftwerken. Wenn dann wieder Wind aufkommt oder die Sonne strahlt, würden die Gaskraftwerke sofort wieder runtergefahren. Dies Erfordernis passt nicht zusammen mit dem Bedürfnis, während der Kälteperiode kontinuierlich Heizenergie liefern zu können.
VG Horst Schiermeyer, Mitglied der BAG Energie