Renaissance der Ausschließeritis
Koalitionsdebatten „sind wie abgestandenes Bier“ (Cem Özdemir). Winfried Kretschmann ist bekennender Biertrinker. Weshalb er den ganzen Sommer eine Koalitionsdebatte führte. Kretschmann weiß: Grüne Selbstgewissheiten taugen für Pressekonferenzen nach Klausuren – nicht aber für die Wirklichkeit.
Zwei der beliebtesten grünen Selbstgewissheiten lauten:
- Wir machen keine Farbenspiele – wir setzen auf Inhalte.
- Wir sind eigenständig.
Beide Selbstgewissheiten helfen nicht weiter, wenn es ernst wird. Bei Wahlen geht es um Macht. Und es geht nicht um Farben, sondern um Mehrheiten.
Um Inhalte umzusetzen, bedarf es Mehrheiten. Das ostentative Hochhalten der Eigenständigkeit ersetzt nicht die Klärung mit welchem politischen Konkurrenten es mehr und mit welchem es weniger Gemeinsamkeiten gibt.
Das hört sich selbstverständlich an – ist es aber nicht mehr. Wer sagt, Grüne würden jede Regierungsbeteiligung davon abhängig machen, dass es mehr Klimaschutz, weniger Ungleichheit, eine Ende der Austerität in Europa und mehr internationales Engagement im Rahmen der UN gibt, muss mit einem scharfen Tadel der Fraktionsvorsitzenden rechnen.
Ordnungsruf und neue Ausschließeritis
Das Plädoyer für Klimaschutz, Gerechtigkeit, Europa und Primat des Völkerrechts wird als „altes Lagerdenken“ abgetan. „Vergesst es“ – so Katrin Göring-Eckardt. Um „die Grünen in Regierungsverantwortung zu führen“ müsse man hingegen heute „nicht dogmatisch“ vorgehen. „Es braucht eine neue Offenheit der demokratischen Parteien, wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden wollen.“ Politik „in linken und rechten Blöcken gedacht“ helfe nicht mehr weiter.
Hier findet sich die Leerformeln des politischen Feuilletons in Überdosis. Der Kern der Botschaft ist simpel: die Macht soll von den Inhalten entkoppelt werden. Als stiller Türöffner für Schwarz-Grün.
Winfried Kretschmann ist über das Klammheimlich-Stadium hinaus: In der Berliner Morgenpost schließt er zunächst Rot-Grün-Rot aus: „In dem Zustand, in dem die [Links] Partei jetzt ist, würde schon die Sondierung scheitern.“ Das ist die Renaissance der Ausschließeritis – einseitig nach links.
Im Spiegel fordert Winfried Kretschmann dann Schwarz-Grün; „Wenn man jetzt nicht mit der Angela Merkel koalieren kann, mit wem dann, bitte?“ Wie wäre es mit Horst Seehofer?
Nur Dreier-Koalitionen
In Wahrheit sind die Zeiten von Wünsch-Dir-Was vorbei. Aktuell geben die Umfragen für die Grünen im Bund arithmetisch fast keine Regierungsoptionen her. Politisch sind selbst die wenigen knappen Optionen kaum tragfähig.
Für Grüne sind – wenn überhaupt – nur Dreierbündnisse im Angebot.
Niemand bestreitet, dass die Grünen mit der Gabriel-Steinmeier-SPD regieren können. Und sie würden auch mit einer Merkel-Altmaier-CDU klarkommen, trotz Schäuble. Nur reicht beides nicht. Die CDU gibt es nur mit der CSU. Und die SPD nur mit der Linken.
Regieren werden Grüne nur mit Seehofer oder mit Sarah. Oder sie werden wieder Opposition sein.
Wenn sie aber regieren wollen, werden sie erklären müssen, mit wem sie das eher für möglich halten. Mit einem Seehofer, der mit NPD-Parolen Wahlkampf macht („Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“) und europapolitisch bei Viktor Orbán steht? Oder mit einer Sarah Wagenknecht, die Nationalismus und Anti-EU-Bashing für links hält?
Das sind keine appetitlichen Alternativen – aber wer die Grünen an die Regierung führen will, wird darauf eine Antwort geben müssen.
Inhalte
Am Ende koalieren Parteien miteinander. Vergleicht man politische Inhalte, ist offensichtlich, dass die Programme der CSU und der Grünen reichlich Gegensätzliches und fast nichts Gemeinsames aufweisen. Und dass die Schnittmengen zwischen Linken und Grünen deutlich höher sind – auch wenn es massive Widersprüche in wichtigen Fragen gibt.
Weshalb den Grünen – im Zweifel – die Linken näher sind als die CSU. Hinzukommt, dass Seehofers Rechtspopulismus in der CSU absolut mehrheitsfähig ist und dem Programm entspricht. Wagenknechts Ausfälle hingegen lösen in der Linken deutlichen Widerspruch aus, weil sie nicht durch deren Programm gedeckt sind. Da kann es für Grüne keine Äquidistanz geben.
Der Unterschied zwischen Links und Rechts verschwindet nicht durch Wegwünschen, denn er beruht auf Inhalten.
Regieren
Zurzeit deutet Vieles darauf hin, dass nach der Bundestagswahl vor der Bundestagwahl ist. Der Aufstieg der AfD und die potentielle Rückkehr der FDP stärken die Mehrheit rechts der Mitte. Sie verunmöglichen aber eine rechte Regierungsfähigkeit – noch. Die anhaltende Schwäche der SPD, die Verluste der Linken an die AfD sowie die Stagnation der Grünen seit 2013 versprechen aktuell keine Mehrheit links der Mitte – trotz möglicher Optionen in Berlin und McPomm.
Bei einer Neuauflage der Großen Koalition müssen die Grünen das Ziel haben, die stärkste Kraft der Opposition zu sein. Nur so können sie das Ziel der AfD durchkreuzen, sich als eigentliche Opposition im Land zu kostümieren. Dazu müssen Grüne ihre Inhalte deutlich profilieren. Das verträgt sich schlecht mit einer Haltung, die CSU tot zu schweigen oder schönzureden – ohne es zu unterlassen, den Nationalismus von Wagenknecht zu kritisieren.
Opposition ist notwendig aber nicht hinreichend. Gewählt werden Grüne für Inhalte nur, wenn sie deutlich machen, wie sie diese Inhalte umsetzen wollen. Welche machtpolitischen Prioritäten sie haben. Macht macht Inhalte erst zu gesellschaftlicher Realität.
Deswegen ist die Renaissance der Ausschließeritis nach links so gefährlich. Deswegen ist die Abkoppelung der Inhalte von der Machtfrage demobilisierend. Beides transportiert eine mutlose Botschaft: eine Regierung ohne die Union ist in Deutschland nicht vorstellbar.
Nicht nur Deutschland wählt 2017. In Österreich bereitet ÖVP-Außenminister Kurz systematisch eine Koalition mit der FPÖ vor. Ob Frankreich gegen Le Pens Front National regiert werden kann ist eine offene Frage. Wäre es nicht ein gutes Signal, wenn die Orbanisierung der Deutschen Europapolitik dadurch erschwert würde, dass die CSU nicht mehr an der Regierung ist?
Wer Europa nach dem BREXIT zusammenhalten will, muss die Gesellschaften zusammenhalten. Für eine Politik des Zusammenhalts bedarf es mehr Gleichheit und eines Endes der Austerität. Wäre es nicht ein Schritt dahin, wenn die GREXIT-Betreiber aus der CSU samt Schäuble keine Regierungsverantwortung mehr haben?
Solange die Kriege in Syrien und Libyen anhalten, ist Europas Sicherheit bedroht. Europa wird zudem weiterhin Geflüchtete aufnehmen und integrieren müssen. Ist es nicht an der Zeit, diejenigen in die Opposition zu schicken, die behaupten, diese Herausforderungen könne man durch Abschieben, Burkaverbot, Wehrpflicht und dem Verbot der Doppelstaatlichkeit bekämpfen?
Viele Menschen wollen ein besseres gemeinsames Europa, einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen. Eine Partei, die ausstrahlt nicht mehr für Mehrheiten für solche Inhalte zu streiten, werden sie nicht wählen.
Eine Haltung, die nicht mehr sagt, was sie will, stellt sicher, dass Grüne nicht regieren werden – sondern geschwächt in der Opposition landen.
1. September 2016 um 12:44
Lieber Jürgen, in vielen gebe ich dir Recht. Aber deine Kritik an Sarah ist leider nicht akzeptabel, denn es geht nicht darum, dass sie die EU kritisiert, sondern darum, dass sie gegen die Politik der NATO spricht. Du versuchst sie hier im Nebensatz anzugreifen. Und der Begriff unappetitlich ist hier schon wirklich übel. Es leicht zu durchschauen, worauf du hinaus willst.
Wenn ich die Grünen wähle, dann für Politiker wie Sven Giegold, die ausdrauernd und beharrlich auf der richtigen Seite kämpfen und der Erfolg gibt ihm Recht.
Angesichts der kriegerischen Rethorik unserer Regierung in letzter Zeit, erwarte ich von den Grünen klare Positionen. Ich werde die Grünen nicht wählen, wenn sie sich weiterhin in der Nähe des transatlantischen Narrativs aufhalten. Dazu gehört die Politik im Nahen Osten, die Unterstützung der israelischen Regierung gegen Palestina und die Einflußnahme in der Ukraine. Hier finde ich die Grünen dogmatisch verkleistert. Wenn sie sich hier anpassen, dann werden sie weitere Kriege mitzuverantworten haben.
1. September 2016 um 13:00
Ich möchte noch einen Aspekt hinzufügen. Eine CDU, die um des Machterhalts willen, auf GRÜNE Inhalte/ Grundpositionen einschwenken würde, käme sich vergewaltigt vor. Genauso ist es aber auch umgekehrt. Es würde unsere Partei zerreißen!
Deswegen halte ich einen knallharten und vor allem auch konsequent durchgehaltenen Abgrenzungskurs unserer Partei von der CDU/ CSU nicht nur für wichtig, sondern für überlebenswichtig.
2. September 2016 um 9:45
Hervorragende Analyse! Es sind noch weitere Aspekte, insbesondere die längerfristigen Folgen für die Grünen zu bedenken. Juniorpartner von CDU/CSU zu sein, ist in den letzten 20 Jahren niemandem gut bekommen! Auf Dauer wird man angesichts des fortschreitenden Vertrauensverlustes in die Politik nur gewählt, wenn man Haltung bewahrt.
2. September 2016 um 14:57
Lieber Jürgen, seit 1980 wähle ich grün.Nun wartet unsere Familie und auch Freunde seit Jahren darauf, dass es endlich zu einer rot-rot-grün Regierung kommt.Es muss sich endlich bald und viel ändern!!! Los! Mut zum Risiko!!
3. September 2016 um 18:06
Lieber Jürgen,
Treffende Analyse. Kann ich fast alles unterschreiben. Ich glaube aber, das wir eine Ausschließeritis brauchen. Und zwar eine, die gegen rechte Optionen geht, bei denen wir nur der Juniorpartner sind. Schwarz-Grün ist unser Untergang. Grün-Schwarz geht eventuell.
Grundsätzlich glaube ich aber, das wir eine klare Ausrichtung nach links brauchen, um überhaupt in nennenswertem Umfang gewählt zu werden. Eine Festlegung auf, wie auch immer geartete linke Bündnisse, schadet nicht, ist aber auch nicht notwendig.
Schöne Grüße aus Gescher.