Ralf Fücks hat am 19. Mai ein Essay mit dem Titel Ökologie und Freiheit veröffentlicht. Dabei geht es um die Widersprüche und politische Vereinbarkeit dieser beiden Begriffe. Der Beitrag steht stellvertretend für einen Freiheitsbegriff, der die Marktwirtschaft und grüne Technologien in den Mittelpunkt der Debatte rückt. Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob dies dem Verhältnis von Ökologie und Freiheit gerecht wird.
Ein falsches Versprechen von Freiheit
Ökologie und Freiheit zu vereinigen, war und ist Gegenstand vieler Debatten inner- und außerhalb der Partei. Dabei lässt sich das Verhältnis von Ökologie und Freiheit auf eine einfache Formel bringen: Die technologischen Möglichkeiten bestimmen, welchen Lebensstil bzw. welche Freiheiten wir uns unter Berücksichtigung der ökologischen Grenzen leisten können. Wo selbst unter effizientester Ressourcennutzung eine bestimmte Wirtschaftsweise wegen der begrenzten ökologischen Tragfähigkeit des Planeten nicht auf alle Menschen übertragbar ist, muss (zumindest) ein Teil der Menschheit seinen Lebensstil zwangsläufig anpassen. Dieser Gedanke ist keineswegs trivial, wie der Glaube an eine grenzenlose Koproduktion mit der Natur zeigt. Das unbedingte Verlangen, den hiesigen verschwenderischen Lebensstil in ein neues technologisches Paradigma pressen zu wollen, erweist sich dabei als ein Spiel mit dem Feuer. Das Versprechen, es könne ein weiter so geben, solange wir nur erneuerbare Energien nutzen, effizient produzieren und Stoffkreisläufe schließen, bindet eine Gesellschaft langfristig an einen Pfad des materiellen Wachstums. Sollte dieses Versprechen wegen ökologischer Knappheit nicht eingehalten werden können, entstehen zwangsläufig Verteilungskonflikte. Diese treten einerseits innerhalb der wohlhabenden Länder des globalen Nordens auf, wo sich bereits heute zunehmend Menschen vom vorgelebten und propagierten Reichtum abgehängt fühlen. Auf der anderen Seite trägt die globale Ungleichverteilung von Ressourcen in den Ländern des globalen Südens in letzter Konsequenz zu politischer Instabilität, bewaffneten Konflikten und Flucht bei.
Auch die Frage steht im Raum, ob grüne Innovationen unsere Art des Wirtschaftens in einem angemessenen Zeitraum erhalten können. Bereits heute machen sich Millionen Menschen in den Schwellenländern auf, den europäischen und nordamerikanischen Lebensstil zu kopieren. Theoretisch müssten die umgesetzten Effizienzsteigerungen mindestens dem physikalischen Wachstum dieser Volkswirtschaften im gleichen Zeitraum entsprechen, um den Ressourceneinsatz zumindest konstant zu halten. Diese Vorstellung ist angesichts von ökonomischen Wachstumszahlen zwischen sieben und elf Prozent pro Jahr (im Fall von China) absolut unrealistisch. Hier wird die Dynamik ökonomischer und ökologischer Systeme verkannt, indem eindimensional auf technologischen Fortschritt geblickt wird. Statt auf die komplexe Gemengelage von Möglichkeiten grüner Technologie, Lebensstilen und ökologischen Grenzen zu schauen, wird der innerhalb seiner ökologischer Leitplanken freie Unternehmergeist als alleinige Lösung vorgeschoben.
Ökonomie ist mehr als Konsum und Wettbewerb
Die Skepsis gegenüber solchen Freiheitskonzepten, die Änderungen der individuellen Lebensweisen von vorne herein ausschließen und einseitig auf höhere Ressourcenproduktivität setzen, haben dabei ihren Kern nicht in einer dogmatischen Technikfeindlichkeit oder Bevormundungsideologie. Sie basiert auf der Frage: Was tun, wenn technologische Lösungen allein eine nachhaltige Wirtschaftsweise nicht garantieren können? Im Grunde entzieht das Abwimmeln ökologischer Grenzen im Rahmen solcher Konzepte der Freiheitsdebatte die Substanz, da wesentliche Trade-Offs zwischen Ökologie und Freiheit mit Verweis auf technologischen Fortschritt einfach übergangen werden. Dabei sind es gerade diese Zielkonflikte, die die Politik adressieren und für die sie einen Ausgleich finden muss. Verschärfend kommt dabei die soziale Dimension ins Spiel. Es ist gut, dass die Partei darüber diskutiert, wie sie mit diesem Spannungsfeld umgeht. Windräder und Elektroautos eröffnen dabei neue Chancen für die Vereinbarkeit von Ökologie und Freiheit, sie machen jedoch nicht die Debatte darüber obsolet.
Grüne Politik sollte sich an eine positive Erzählung neuer Lebensstile wagen. Zeitwohlstand, Lebenszufriedenheit und innovative Produktsysteme mit verändertem Nutzungsverhalten haben nichts mit dem Mief einer Verbots- und Verzichtspartei zu tun. Diese Aspekte wurden in der Vergangenheit bereits aufgegriffen – seien es Carsharing, Zeitpolitik oder der grüne Wohlstandskompass. Gemein ist allen Ansätzen, dass sie nicht von oben verordnet werden, sondern existierende gesellschaftliche Bedürfnisse aufgreifen. Auch führen sie direkt oder indirekt zu Veränderungen individueller und kollektiver Verhaltensweisen. Die Stärke grüner Politik lag immer darin, progressive Ansätze in der Gesellschaft zu identifizieren und einen Diffusionsprozess für diese Ideen einzuleiten. Bezogen auf die vorliegende Debatte bedeutet dies, den Blick für neue Formen ökonomischer Betätigung zu weiten. Dies schließt Repair Cafés, Gemeinschaftsgärten und Open Source ebenso ein, wie Carsharing-Lösungen von BMW und die vielen Akteure im Bereich des Social Business. Ökonomische Freiheit ist somit nicht nur die Freiheit der Marktkonformität. Grüne Politik muss auch die wirtschaftliche Entfaltung jenseits des Kommerziellen ermöglichen. Gerade hier liegt eine Chance für tiefgreifende Innovationen: Viele Akteure aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz haben als nicht-kommerzielles Garagen-Projekt begonnen, bevor sie aus ihrem Selbstgebasteltem ein Business Modell machten. Den gleichen Weg können – unterstützt von entsprechenden politischen Rahmenbedingungen – Initiativen gehen, die sich professionalisieren wollen, um den Menschen andere, suffiziente Konsummuster zu ermöglichen. Das Aufbrechen bestehender Konsumgewohnheiten bedeutet daher in den meisten Fällen ein Mehr an Freiheit.
Selbstverständlich besteht Einigkeit in der Frage, dass grüne Technologien gerade im Rahmen unternehmerischer Aktivitäten eine Schlüsselfunktion bei der Bewältigung ökologischer Herausforderungen einnehmen. Zu beachten ist jedoch, dass tiefgreifende strukturelle Veränderungen stets auf größeren Widerstand stoßen als inkrementelle technologische Neuerungen. Die Profiteure bestehender Wirtschafts- und Konsumstrukturen werden ihren Platz nicht kampflos räumen. Entscheidend ist daher die Bereitschaft und die Fähigkeit, damit verbundene Konflikte – auch über einen längeren Zeitraum – auszutragen. Auch wenn grüne Ideen heute mehrheitsfähig sind, gilt es sich einzugestehen, dass die Bretter, die gebohrt werden müssen, nicht dünner werden.
26. Juni 2015 um 15:48
Ich habe das Bedürfnis, die Kritik an dem Text von Ralf Fücks noch um einen Punkt zu ergänzen. Ralf Fücks’ ‚Grüner Ordoliberalismus’ beruht auf dem Gegensatzpaar Freiheit contra autoritärer, bevormundender Staat, dessen Eingriffe in die Freiheit auf ein Minimum zu beschränken sind. So kennt man das auch aus Positionen von Wirtschaftsverbänden sowie frei- und christdemokratischen Parteien. Ich möchte diese Gegenüberstellung von ‚Freiheit’ und ‚Staat’ in Frage stellen. Beispiel: setzt eine Stadt durch Fahrverbote eine autofreie Innenstadt durch, so verringert sich die Freiheit von Autofahrern und erhöht sich die Freiheit von Fußgängern, Radfahrern und Anwohnern. Die Stadt, die eine vierspurige Schnellstraße sowie Parkhäuser in der Innenstadt baut, ist genauso autoritär und bevormundend (Enteignung von Grundstücken, Abriss von Gebäuden), verringert die Freiheit von Fußgängern, Radfahrern und Anwohnern und erhöht die Freiheit von Autofahrern. Staatliche Maßnahmen schränken also die Freiheit der einen Gruppe ein und erhöhen die Freiheit der anderen.
Die autofreie Innenstadt würde von den meisten Wirtschaftsverbänden und wirtschaftsliberalen Medien wohl als autoritäre Verbotspolitik gegeißelt. Der Bau der Schnellstraße würde von denselben Verbänden und Medien dagegen als vernünftig und zukunftsorientiert gewürdigt. Der Staat wird nur dann als autoritär und freiheitsberaubend dargestellt, wenn er sich den eigenen Interessen entgegenstellt. In anderen Fällen fordern dieselben Verbände sogar die staatliche Einschränkung der Freiheit (Streikrecht, Demonstrationsfreiheit, etc), wenn es ihren Interessen dient.
In einer Gesellschaft mit Interessengegensätzen kann der Staat nicht allen Interessengruppen gleichzeitig dienen. Beispiel: die Freiheit von Investoren, Immobilien als Spekulationsobjekte zu nutzen, steht im Widerspruch zur Freiheit, erschwingliche, innenstadtnahe Wohnungen mieten zu können. Der Kündigungsschutz ist eine erhebliche Einschränkung der Unternehmerfreiheit, erweitert aber die Handlungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern. Die Freiheit, unbegrenzt CO2 zu emittieren, beschränkt die Freiheit der Opfer des Klimawandels.
Der Staat muss sich also entscheiden, wessen Freiheit er einschränkt und wessen er erweitert. Eine Politik, die Partei ergreift für die Benachteiligten und gegen die Privilegierten, wird allgemein als ‚links’ bezeichnet, die entsprechend konträre Position als ‚rechts’. Man kann sich nicht vor der Entscheidung drücken. Man kann nicht Politik machen, ohne sich mindestens eine Interessengruppe zum Feind zu machen. Man muss sich entscheiden, welche. Irgendwie weder links noch rechts, dafür freiheitlich ….ist leider nicht möglich.
In der gängigen Rhetorik ist bei dem Gegensatz ‚Freiheit’ contra ‚Staat’ immer unausgesprochen die Unternehmerfreiheit gemeint, die Freiheit einer durchaus nicht unterprivilegierten Bevölkerungsgruppe. Die Unternehmerfreiheit als Freiheit ‚an sich’ zu verkaufen, ist ein geschickter PR Trick der unternehmerfreundlichen Lobbies, Medien und Parteien. Ralf Fücks ist ihnen auf den Leim gegangen.
22. Mai 2017 um 19:35
Eine sehr sinnvolle Unterscheidung – es gibt tatsächlich sehr viele autoritäre Massnahmen, die sowohl Ralf Fücks als auch die ordoliberalen anderen Parteien (denen die Grünen jedenfalls in der Böll-Stiftung und der derzeitigen Spitze sehr ähneln) gutheissen würden. Zu Ralf Fücks muss man sich zusätzlich nur noch seine Position zu der gradezu manischen Vielfliegerei von uns Menschen im Westen, rund 500 Millionen Menschen, anschauen. Fücks plädiert für ungehemmtes Wachstum des klimaschädlichsten Verkehrsmittels, hebt die Einsparmöglichkeiten hervor. Aber er unterschlägt völlig, dass ausgerechnet der Flugverkehr von der Kerosinsteuer, der Ökosteuer und der Mehrwertsteuer für Auslandsflüge befreit ist. Dazu sagt er nicht, dass eben nur 10% der Menschheit, diese aber unglaublich oft und immer weiter, fliegen. Alle möglichen Faktoren werden von Fücks nicht genannt. Er nennt die, die darauf hinweisen, "Öko-Calvinisten".
Aber es geht grade nicht um eine "miefige Verzicht-Politik". Was heißt Verzicht, wenn allein Ryan Air 2014 rund 90 Millionen, 2015 106 und 2016 120 Millionen europäische Passagiere hatte? Sie streben 200 Millionen an, und Fücks findet all das prima – wo wäre hier der "Verzicht"? Verzichten müssen grade die 90% der Menschheit, die noch nie geflogen sind. Effizienter sind Flugzeuge heute – aber trotzdem stoßen sie viel, viel mehr Treibhausgase aus – weil unendlich viel mehr unter uns im Westen fliegen. Kein Wort dazu von Ralf Fücks.
Fücks ist übrigens niemand "auf den Leim gegangen". Er ist ein sehr intelligenter, neoliberaler Politiker, der durchaus weiß, was er sagt. Früher einmal ein Kommunist mit maoistischen Tendenzen, ist er längst ein Politiker geworden, dessen Freiheits-Vorstellung sich nicht von der der FDP unterscheidet. Falsch liegt er trotzdem – von seinen Ideen zur Vielfliegerei hält beispielsweise der grüne Europapolitiker Sven Giegold überhaupt nichts. Es würde fatal für die Grünen, wenn allzuviele sich Ralf Fücks anschliessen würden. Eine grüne Partei, die nicht endlich gerechte Steuern, die die Bahn und Busse zahleh müssen, fordert, und Fakten zum Vielfliegen aufzeigt – ist das noch eine grüne Partei? Wo geht es um Verzicht, wenn 100 mal mehr fliegen als 1960? Die Klimaveränderungen kommen zu großen Teilen durch zuviel Konsum von 500 Millionen Menschen. Wenn man den immer weiter verstärken will, wie soll es dann klappen?
28. Juni 2015 um 22:39
Leider haben alle an der Macht beteiligten Personen immer zu sehr den ökonomischen Interessen nachgegeben.
Wie heißt es so schön.
Wir sitzen alle in einem Boot( Erde).
Und auf dieser Erde leben wir Menschen.
Wir brauchen die Erde.
Die Erde braucht uns nicht.