Erwachsen aus den „Neuen Sozialen Bewegungen“ war unsere Partei erfolgreich, weil Sie für die Anliegen einer ökologisch motivierten Generation kämpfte. Diesem Anspruch wurden wir zuletzt nicht mehr gerecht. In aktuellen Debatten um einen sozial-ökologischen Wandel unserer Wachstumsgesellschaft sind wir nur Zaungäste. Ein Antrag zur BDK in Dresden gibt uns jetzt die Chance, diese Bewegung und uns wieder ernst zu nehmen.
– Montag, 09.12.2013 –
Morgens in einem Hinterhof in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg. Durch die Fenster des Gruppenraums schaue ich auf die Thinkfarm: an großen, selbstgebauten Schreibtischen sitzen rund 60 Aktivisten, Unternehmensgründerinnen, Filmemacher, Vereinsvorsitzende und Bildungsreferentinnen und teilen sich Büroräume und den Wunsch nach einer grüneren und gerechteren Wirtschaft. Später am Mittagstisch erlebe ich hitzige Diskussionen über ein Wirtschaften jenseits des Wachstums und das andere, das Gute Leben. Vor mir sitzt eine neue Generation von Weltverbesser*innen. Als das Gespräch auf die Wahl 2013 kommt, bin ich der einzige, der das Grüne Abschneiden bedauert. Mit meinem Statement ernte ich betretene Blicke. Den politischen Wandel wolle man ja – aber mit den systemkonformen Grünen sei der doch nicht zu machen.
– Donnerstag, 12.12.2013 –
Im katholischen Tagungshaus an der Königstraße in Nürnberg sitzen wir zu zwölft in einem Stuhlkreis: Gemeinwohlökonomie, Transition Towns, Postwachstum, Solidarische Ökonomie, Commons, ATTAC – Vertreter*innen der deutschen alternativökonomischen Szene treffen zum ersten Mal zusammen. In der Einführungsrunde stelle ich mich zuerst als Wachstumskritiker, dann als Grüner vor. Ersteres erzeugt interessierte Nachfragen, meine Mitgliedschaft hingegen nur ein müdes, fast mitleidiges Lächeln. Viele hier haben mehr Lebenserfahrung als ich und das Engagement für bestimmte Parteien längst aufgegeben. Später ist die Stimmung locker, die Diskussionen sind zielorientiert. Von linker Sektiererei nichts zu spüren. Nüchtern werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede besprochen. Bei Kerzenschein sitzen wir abends zusammen und schmieden Pläne für eine gerechtere Zukunft.
– Mittwoch, 18.12.2013 –
Hinter Backsteinmauern in einem Leipziger Industriegebiet klackern die Tastaturen, junge Menschen hinter Bildschirmen lächeln mich freundlich an, als ich sie begrüße. Vor etwa einem Jahr haben wir begonnen, uns um die Ausrichtung der Degrowth 2014 in Deutschland zu bewerben. Mit meinem Umzug nach Leipzig beginnt die arbeitsintensive Endphase: eine Unterkunft für 1.500 Menschen will organisiert werden, Umwelt- und Entwicklungsverbände, politische Stiftungen, lokale Hausprojekte, SoLaWis und VoKüs möchten eingebunden werden. Erste Zusagen von Redner*innen trudeln ein. Über Parteienvertreter*innen, gar von den Grünen, haben wir noch nicht gesprochen. Es hat sich einfach nicht ergeben.
– Freitag, 27.12.2013 –
Zwischen den Jahren erhalte ich eine E-Mail aus dem Bundestag. Ich scrolle durch die drei Seiten des BDK-Antrags V-07 „Grüne für eine zukunftsfähige Wohlstandsgesellschaft": "Als Grüne wollen wir an einem neuen, ökologischen Wohlstandsmodell und seinen vorhandenen Widersprüchen arbeiten. Unterschiedliche Akteure praktizieren schon heute nachhaltiges Wirtschaften mit einem veränderten Wohlstandsverständnis. […] Wie könnte eine „Politik der Ermöglichung“ durch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aussehen, um diese Bewegungen zu unterstützen?" Der Antrag fordert den Vorstand auf, diese Diskussion innerparteilich zu fördern und einen von allen getragenen Beschluss ermöglichen. Lächelnd klappe ich den Rechner zu und denke an die vergangenen Wochen. So nah am Zeitgeist war ein Grüner Antrag selten. Welche Chancen hat er, durchzukommen?
Wie viel Bewegung steckt noch in Grün?
Europa ist das große Thema der nächsten BDK. Die Wirtschaftskrise spielt dabei naturgemäß eine Hauptrolle. Der Entwurf zum Wahlprogramm verspricht grüne Investitionen statt Spardiktat. Auf das Wort „Wachstum“ hat die Schreibgruppe fast durchgehend verzichtet. Der Schwerpunkt auf Investitionen aber umschreibt das Ziel recht eindeutig; es geht um grüne Jobs, Jobs, Jobs. Schaut man genauer hin, entdeckt man im Unterkapitel "Wirtschaftlichen Fortschritt neu denken" sehr wohl auch Positives: von anderen Wohlstandsindikatoren ist da die Rede und von der Solidarischen Ökonomie, die gefördert werden soll. Die restlichen 56 Seiten aber lassen erkennen, woran das Grüne Bild im sozial-ökologischen Milieu krankt. Der Green New Deal, unser umfassendes Programm für den Wandel? Erinnert an Opas Nachkriegsgeschichten: ist viel wahres dran, wirkt aber muffig und angestaubt. Kein Wort zu den Herausforderungen unvermeidlich sinkender Wachstumsraten. Schweigen über die Chancen des Kleinerwerdens für unseren Kontinent und seine Bürger*innen. Merke: Es gibt kein Grünes Europa jenseits der Wachstumsabhängigkeit.
Man muss es deshalb betonen: Anfang Februar in Dresden entscheiden wir nicht nur über unser Europawahlprogramm. Auf diesem Parteitag stimmen wir auch darüber ab, ob wir noch ein Teil der Bewegung sind; darüber, wie ernst wir es meinen mit dem sozial-ökologischen Wandel. Zustimmung zum Antrag V-07 heißt: anschlussfähig bleiben an die Utopist*innen, die in Berlin, Nürnberg, Leipzig, im gesamten Land und in Europa für echte Zukunftsfähigkeit kämpfen. Diese Menschen eint die pragmatisch-anpackende und zugleich lebensfroh-begeisternde Vision einer Gesellschaft jenseits des Wachstums. Breite Zustimmung zum Antrag wäre ein Fortschritt für unsere Partei und ließe uns selbstbewusst den Schulterschluss mit der jungen sozial-ökologischen Bewegung suchen.
Den engagierten Menschen in meinem Umfeld habe ich noch nichts von diesem Antrag erzählt. Sein Erfolg bei der Abstimmung gäbe mir einen Anlass dazu. In jedem Fall gewännen wir an Glaubwürdigkeit. Und für mich wäre es ein Grund, an die Verbindung zweier Welten zu glauben, die mir bisher getrennt erscheinen.
10. Februar 2014 um 16:07
super interessanter artikel daniel, bitte halte uns am laufenden! 🙂