Die Olympischen Winterspiele im russischen Sotchi stehen vor der Tür. Doch geht es bei diesen Spielen nicht nur um rein Sportliches. Die russischen Gastgeber stehen wegen der Menschenrechtslage im Land, aber auch wegen der ökologischen Begleitumstände in der Kritik. Mit brachialen Methoden wurde aus der Sommerfrische am Schwarzen Meer ein mondäner Wintersportort. Um Anwohner und Umwelt kümmert sich das Regime in Moskau nicht. Um Putins Traum von den großartigsten Spielen aller Zeiten wahr werden zu lassen, mussten Naturschutzgebiete weichen, Menschen umgesiedelt werden und Arbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen ein Wintermärchen aus dem Boden stampfen. Mit Kosten von bis zu 50 Milliarden Euro werden diese Olympischen Winterspiele die teuersten aller Zeiten, aber Geld spielt scheinbar keine Rolle. Es sind Putins Spiele, nicht die der Menschen aus Sotchi und Umgebung. Und das Internationalen Olympischen Komitee (IOC) darf Spalier stehen.
Insbesondere Putins Umgang mit Minderheiten und Oppositionellen ist immer wieder Grund internationaler Kritik. Doch scheint dies das IOC nicht nachhaltig zu beeindrucken: The Show must go on! Der organisierte Sport habe sich aus politischen Debatten herauszuhalten, ist immer wieder von Seiten der Olympia-Bosse zu hören. Dass aber auch staatliche Diskriminierung von Minderheiten, wie die russischen Gesetze gegen Homosexuelle sie darstellen, gegen die Prinzipien der Olympischen Charta und gegen die Berliner Erklärung der Weltsportministerkonferenz verstoßen, spielt dabei offensichtlich nur eine sehr untergeordnete Rolle. Halbherzig haben sich alle Seiten darauf verständigt, dass selbstverständlich niemand während der Olympischen Spiele diskriminiert werden soll. Das IOC aber hält sich auch weiterhin sehr bedeckt, was Menschenrechtsfragen angeht.
Doch außerhalb der abgeschotteten Welt der Sportfunktionäre werden Forderungen nach Menschenrechtskriterien bei der Vergabe von Sportgroßereignissen immer lauter. Und das zu Recht! Länder, die eklatant gegen die Menschenrechte verstoßen, können nicht Gastgeber weltweiter Sportfeste sein. Autoritäre Regime und Diktatoren dürfen nicht auch noch eine internationale Bühne durch die weltweit gefeierten Sportereignisse bekommen. Wenn nötig, muss über alternative Austragungsorte nachgedacht werden. Doch der Ruf nach kurzfristigen Boykotten ist einer notwendigen Debatte nicht dienlich. Nicht die AthletInnen tragen die Verantwortung für die sportpolitischen Entscheidungen. Es sind die Funktionäre und Politiker. Sportpolitische Fehlentscheidungen dürfen nicht auf dem Rücken der SportlerInnen ausgetragen werden.
Der Sport in der Vertrauenskrise
Die Debatten um die Situation der Gastarbeiter in Katar oder die Proteste gegen die politische Prioritätensetzung der brasilianischen Regierung, die in die Austragung der Fußballweltmeisterschaft der Männer in diesem Jahr und 2016 in die Durchführung der Olympischen Sommerspiele investieren, notwendige Investitionen in die Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur aber hintanstellen zeigt, dass für die Öffentlichkeit „dabei sein“ beim olympischen Zirkus oder dem Milliardengeschäft mit dem Männerfußball eben nicht mehr alles ist. Das „Nein“ der Bevölkerung zu einer möglichen Olympiabewerbung Münchens spiegelt auch in Deutschland eine Diskussion um den Sinn und Unsinn und vor allem um die Bedingungen sportlicher Mega-Events wider. Der Sport und die Sportpolitik wären gut beraten, die Debatten zu führen, wollen sie nicht, dass die Akzeptanz von Sportgroßveranstaltungen weiter sinkt. Der Gigantismus internationaler Sportgroßereignisse steht zunehmend in der Kritik. Darüber hinaus haben die großen internationalen Sportverbände auch mit anderen Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen. Korruption und Betrug scheinen zu andauernden Begleitern von Vergabe und Durchführung bedeutender Sportereignisse geworden zu sein. Und auch die Frage der Dopingbekämpfung wirft mehr Fragen auf, als dass sie das Vertrauen in einen sauberen Sport noch erhöhen würde.
Der organisierte Sport und die Sportpolitik stehen an einem Scheidepunkt. Die Begeisterung für athletische Höchstleistungen allein vermag die Missstände nicht mehr zu überdecken. Es ist Zeit für Reformen: Transparenz statt Hinterzimmer-Entscheidungen, zurück zu Sport und Begeisterung statt Gigantismus und Gewinnmaximierung und nicht zuletzt müssen die Menschen wieder in den Blick der Olympischen Bewegung kommen. Menschenrechtsverletzungen, sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen und willkürliche Enteignungen haben den Sport nicht nur in eine Glaubwürdigkeitskrise gestürzt, sie stellen zunehmend den Sinn solcher Mega-Ereignisse in Frage.
Sportförderung und die Durchführung großer Sportereignisse werden zum größten Teil aus öffentlichen Geldern finanziert. Politik und Sportorganisationen stehen in der Verantwortung, den gesamtgesellschaftlichen Nutzen deutlich zu machen.
Es ist an der Zeit, dass die Sportpolitik deutlich macht, dass öffentliche Förderung auch an die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung gekoppelt ist – auch und gerade, wenn dies politisch vielleicht unangenehm sein mag. Sportverbände und Sportpolitik sind für den Schutz aller AthletInnen, FunktionäreInnen und Fans verantwortlich und sie sind dafür verantwortlich, dass Sportveranstaltungen für alle zugänglich sind.