Bei uns Grünen gibt es das Bild vom Beton-Sozen, der Steinkohle und Schweinefleisch über alles liebt und für den Fortschritt aussieht wie in sowjetischen Propagandafilmen, in denen endlose Kolonnen von Mähdreschern bis zum Horizont reichende Weizenfelder abernten und dreckige Männer aus Unmengen Stahl und Beton die Welt neu erschaffen und entgrenzen. So sehr wir die emanzipatorische Utopie dahinter teilen, so schwierig ist es, sozialdemokratische Kommunalos und Kommunalas als PartnerInnen zu betrachten, die den Power-Point-Präsentationen herausgeputzter AnzugsträgerInnen auf den Leim gehen, für eine bessere Zukunft müsse man den Stuttgarter Bahnhof tieferlegen und den Münchner Flughafen ausbauen und so weiter und so fort.Mit diesem Bild im Kopf: In welchem der beiden Wahlprogramme von SPD und Grünen beginnt der Teil zum Verkehr mit den folgenden beiden Sätzen: Mobilität ist Bewegungsfreiheit. Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens, Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Ausdruck von Freiheit und Selbstverwirklichung.
Bei uns. Das zweite, was mir auffällt, wenn ich das „Regierungsprogramm“ der SPD mit Blick auf Verkehrspolitik lese, ist, daß der Bezug zu Mobilität als Form von Freiheit fehlt, die den Menschen zur Verfügung stehen sollte. Der mit „Ein neuer gesellschaftlicher Konsens für Fortschritt und Infrastruktur“ überschriebene Teil zur Verkehrspolitik hat den Fortschritt nur im Titel. Ansonsten liest er sich wie ein Politikfeld unter Druck von allen Seiten: BürgerInnen, die beteiligt werden wollen, Umweltbelastungen, Lärm, finanzielle Engpässe. Dabei ist doch, und das ist er erste Satz des Kapitelchens, „eine leistungsfähige Infrastruktur das Rückgrat einer starken Wirtschaft.“
Das erste, das mir auffällt, ist: Diese Sozen sind ganz schön vernünftig. Es steht im „Regierungsprogramm“ der SPD nichts, was mich wirklich aufregt und vieles, was sich bei uns auch findet. Es gibt kein Bekenntnis für oder gegen einzelne Projekte. Stattdessen findet sich ein Focus auf den Substanzerhalt, Brückensanierungen und Engpässe. Es wird auf Bürgerbeteiligung wert gelegt und auf Lärmschutz, CO2 soll eingespart werden, Fahrradwege ausgebaut und Verkehr von Straßen auf Schienen und Schiffe verlagert. Das Kapitelchen zur Energiepolitik benennt außerdem Mobilität als ein Feld, in dem die Energiewende stattfindet.
Im Detail wird es aber schwierig. So lehnt die SPD zwar wie wir die Bahnprivatisierung ab, möchte die Deutsche Bahn AG aber als Unternehmen intakt halten, statt wie wir das Schienennetz vom Zugbetrieb zu trennen. Anders als die Energiewende, Lärmschutz und CO2-Einsparungen tauchen Naturschutzaspekte, die uns zum Beispiel bei der Flußschiffahrt sehr wichtig sind, überhaupt nicht auf. Und: Die SPD hat kein Problem mit dem Aus- und Neubau von Straßen.
Hinter letzterem steckt neben den geringen Abneigungen, der GenossInnen gegen Flächenversiegelung ein fast schon philosophisches Problem. Nämlich die Frage, wie viel Verkehr es in Zukunft gibt und ob wir darauf Einfluss haben. Können wir davon ausgehen, daß der Verkehr immer weiter wächst, obwohl die Bevölkerung eher sinkt als steigt und die Energie teurer wird? Können wir zum Beispiel durch eine kluge regionale Wirtschaftspolitik Verkehr vermeiden? Oder wächst das Verkehrsaufkommen immer weiter und weiter? Die SPD möchte Verkehr verschieben, lenken und effizienter machen. Aber nicht vermeiden. Sie geht davon aus, daß das Verkehrsaufkommen wächst.
Insgesamt ist das „Regierungsprogramm“ im Bereich Verkehr sehr wenig konkret und detailliert. Es behandelt das Thema auf zwei Seiten, auf denen auch noch ein Absatz zu den Datenautobahnen Platz hat. Darin sind viele Aspekte nur mit einem oder gar einem halben Satz bedacht. Zum Beispiel: „Wir setzen uns für den weiteren Ausbau der Radwege ein.“ oder „Wir wollen […] dass der öffentliche Nahverkehr reibungslos funktioniert.“ Damit ist dann alles gesagt, was die SPD zum ÖPNV und zum Radverkehr zu sagen hat. Es wäre aber eine sehr dumme Annahme, wenn wir davon ausgehen, daß die SPD uns in den Koalitionsverhandlungen alles gibt, was wir in diesem Bereich wollen, weil wir die detaillierteren Vorschläge und sie ihnen nicht widersprochen haben.
Ich vermute ganz im Gegenteil, daß die Verkehrspolitik ein hartes Konfliktfeld wird. Der Münchner Flughafen, der Stuttgarter Bahnhof, die A100 in Berlin – überall unterstützen SozialdemokratInnen vor Ort überflüssige, aber unglaublich teure Verkehrsprojekte. Nicht immer einmütig und begeistert, aber sie stehen doch immer auf der anderen Seite als wir. All diese Projekte sollen vom Bund mitfinanziert werden und sind damit mögliche Konfliktfelder in einer rot-grünen Koalition. Bei vielen, kleineren Projekten ist es ähnlich. Grüne Verkehrspolitik würde das Umschichten von Finanzmitteln bedeuten, hinein in Felder, die in der SPD offenbar nicht sonderlich wichtig sind. Sie würde sich außerdem mit den starken Lobbys großer Unternehmen anlegen, zum Beispiel um Grenzwerte für den CO2-Ausstoß festzulegen oder in der Bahn aufzuräumen.
Alles das wird in der Koalition schwierig. Daß es einfach wird, war aber auch nicht zu erwarten. Das Regierungsprogramm der SPD klingt sogar vernünftiger, als zu erwarten war und bei einigen der größten Konfliktpunkte ist die Knappheit von Finanzmitteln auf unsere Seite. Damit aber die vielen Details einer Mobilität für alle und einer ökologisch wie finanziell nachhaltigen Verkehrspolitik gegen eine rein der Wirtschaft dienende Infrastrukturpolitik durchsetzen lassen, brauchen wir ein sehr gutes Grünes Wahlergebnis.