Die Kanzlerin hat das böse Wort gesagt und alle stehen Kopf. Merkels Ankündigung, eine „Mietpreisbremse“ werde auch im Wahlprogramm der CDU stehen, stieß nicht nur bei FDP, Wohnungswirtschaft und Teilen der Union auf heftige Kritik: Für sie ist eine Begrenzung von Mieterhöhungen bei Wiedervermietung bekanntlich sozialistisches Teufelszeug. Aber auch die SPD war stinkig und so damit beschäftigt, Merkels „Themenklau“ anzuprangern, dass sie ganz vergaß, von wem wiederum die SozialdemokratInnen abgekupfert hatten. „Rote Abschreiber schimpfen über schwarze Abschreiber“, schrieb die Süddeutsche Zeitung am 5. Juni und sprach die politische Urheberschaft einem Antrag der grünen Bundestagsfraktion vom Februar 2011 zu. Aber was sagt uns der Umstand, dass sich die Meisterin der asymmetrischen Demobilisierung am SPD-Programm vergreift und Peer Steinbrück seinerseits die Grünen plagiiert? Es ist Wahlkampf in Deutschland und die Mieten- und Wohnungspolitik steht dabei wie nie zuvor im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Zu Recht, wie ein kursorischer Blick auf die Entwicklung des deutschen Wohnungsmarkts in den letzten Jahren zeigt.
Die Zahlen mögen variieren, aber der Trend ist eindeutig: In vielen Städten müssen Mieterinnen und Mieter einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Betriebskosten verausgaben. 2011 belief sich die durchschnittliche Miet-Belastung bereits auf etwas mehr als ein Drittel vom Haushaltsnetto. Bei vielen Menschen mit geringem Einkommen, kleinen Renten und Studierenden ist es heute sogar die Hälfte. Innerhalb weniger Jahre sind die Mieten in Großstädten, einigen Ballungszentren und Universitätsstädten geradezu explodiert. Begehrte Lagen verzeichnen bei Wiedervermietung Preissprünge zwischen 20 und 40 Prozent Nicht nur der Deutsche Mieterbund prognostiziert angesichts dieser Entwicklung „eine mittlere Katastrophe“ und sozialen Sprengstoff. Auch Wirtschaftsinstitute gehen in den Großstädten von weiteren Mietsteigerungen aus und warnen bereits vor „spekulativen Blasen“. In der Tat: Die Ursachen für den Preisanstieg sind vielfältig, aber ein wesentlicher Motor ist die Immobilienspekulation. Anleger und Investoren flüchten aufgrund der globalen Finanz- und Währungskrise in vermeintlich sichere Werte und haben dabei auch das menschliche Grundbedürfnis Wohnen als eine Möglichkeit der Renditemaximierung identifiziert. Überspitzt formuliert sind die Mieterinnen und Mieter also ein Kollateralschaden der Krise – sie zahlen für das Versagen von Politik und Banken.
Aber steigende Mieten sind keine Naturgewalt. Das grüne Wahlprogramm sieht in der Wohnungsfrage eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Städte und die Gesellschaft insgesamt. Denn Verdrängung, Segregation und die soziale Spaltung der Städte liegen nicht im Interesse eines demokratischen Gemeinwesens. Die Grünen antworten mit dem Dreiklang von sozialer Mietrechtsreform, Energieeffizienz und gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau.
Und die Sozialdemokrat*innen? Die programmatischen Gemeinsamkeiten, mit der SPD und Grüne in diesen Wahlkampf ziehen, beschränken sich beim Mietrecht nicht allein auf die berühmte Mietpreisbremse – die übrigens von Schwarz-Gelb im Bundestag gerade abgelehnt wurde. Eine ganze Reihe grüner Forderungen finden im SPD-Wahlprogramm bzw. dem „Aktionsprogramm für eine solidarische Stadt und bezahlbares Wohnen“ ihres Kanzlerkandidaten eine Entsprechung: Die Drosselung der Bestandsmieten, die Reduzierung der Modernisierungsumlage, bis zum Bestellerprinzip bei Maklergebühren. Und obgleich das SPD-Programm – wie an so vielen Stellen – weniger konkret ist und Leerstellen hat (Umwandlung, Mietobergrenzen im Erhaltungsrecht), dominieren die Schnittmengen. Bei der notwendigen Reform des Mietrechts könnte eine rot-grüne Bundesregierung zudem nahtlos an die vielfältigen Aktivitäten der rot-grün regierten Länder anknüpfen, die in jüngster Zeit immer wieder im Bundesrat gesetzgeberisch aktiv geworden (und an Schwarz-Gelb gescheitert) sind. Die Sozialdemokratie hat also dazugelernt – leider erst nachdem manche SPD-geführten Landesregierungen, etwa in Berlin, die Wohnungsfrage jahrelang verschlafen und die Probleme durch Nichtstun noch verschärft haben.
Ein gemeinsames rot-grünes Projekt könnte auch das Thema Neubau werden. Beide Parteien setzen hier auf die Neuausrichtung der Neubauförderung sowie eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Allerdings neigen manche Sozialdemokrat*innen zu der fatalen Suggestion, Neubau allein könne das Problem steigender Mieten lösen. Und auch bei der Frage wie, von wem und vor allem für wen neu gebaut werden muss, dürften Rot und Grün nicht immer konform gehen. Gegenüber einer Partei, die bekanntlich Beton im Blut hat, über allzu glänzende Verbindungen zu manch Wohnungsgesellschaft verfügt und etliche Bauskandale verantwortet, ist zumindest ein gesundes Maß an Skepsis angeraten.
Die eigentliche rot-grüne Gretchenfrage in der Wohnungspolitik dürfte aber das Thema energetische Sanierung sein. Das Bekenntnis der Sozialdemokrat*nnen zu diesem Mammut- und Zukunftsprojekt fällt auffällig schmallippig aus. Ihr Programm lässt auch (bewusst?) offen, ob die SPD die Modernisierungsumlage wie die Grünen auf energetische Sanierungsmaßnahmen und den altersgerechten Umbau von Wohnungen beschränken will. Die selbsternannte Mieterpartei möchte offenbar Wähler*innen nicht verschrecken, die mit klimagerechten Investitionen in den Gebäudebestand in erster Linie höhere Wohnkosten verbinden. Anstatt auf diese berechtigten Sorgen eine politische Antwort zu geben, diffamiert manch Sozialdemokrat*in das grüne Anliegen lieber als Mieterhöhungsprogramm. Das ist doppelt fatal: Denn zum einen führt an der energetischen Ertüchtigung der Gebäude kein Weg vorbei, wenn die Bundesrepublik ihre Klimaschutzziele erreichen will. Zum anderen sind Energiesparmaßnahmen angesichts rasant steigender Heizkosten auch eine soziale Frage. Dass die energetische Sanierung sozialverträglich ausgestaltet werden muss, ist Konsens (die Grünen fordern deshalb ein Klimawohngeld, einen Klimabonus und bekennen sich zum Ziel der Warmmietenneutralität). Die SPD wird letztlich akzeptieren müssen, dass es mit einer Ökopartei als Koalitionspartnerin auch nur eine Wohnungspolitik geben kann, die sozial und ökologisch ist.
Fazit: Die Bundestagswahl ist in vielerlei Hinsicht eine Richtungswahl. Für die Mieten- und Wohnungspolitik gilt das in besonderer Weise. Die Alternativen sind klar: Entweder Rot-Grün leitet hier den politischen Paradigmenwechsel ein, für ein gerechteres Mietrecht, besseren Klimaschutz und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in den Städten. Oder Merkel bleibt und mit ihr eine Politik, die Immobilienspekulation und Eigentümer-Lobbyismus, sozialer Segregation und einer Verschleppung der urbanen Energiewende Vorschub leistet. Wie so oft, ist auch bei der SPD Vorsicht geboten: Sie muss erst noch beweisen, ob das sozialdemokratische Herz neuerdings wirklich wieder für die Mieter*innen schlägt, oder dabei nur wahltaktisches Kalkül den Takt vorgibt. Wir Grünen finden, der Worte sind genug gewechselt, lasst die Mieter*innen endlich Taten sehen.