Die Eurokrise hat das Problem der öffentlichen Verschuldung in den Brennpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt. Eine mögliche rot-grüne Bundesregierung wird sich deshalb vor allem an ihren haushaltspolitischen Konzepten messen lassen müssen: Wird sie in der Lage sein, die vorherrschende Merkelsche Spardoktrin auf eine Weise handhaben können, die auch eine positive sozial-ökonomische Vision von Europa zu lässt? Schmiedet sie neue Allianzen, bsp. mit den französischen Sozialisten und der italienischen Sozialdemokratie, um ernsthaft an einem ‘europäischen Deutschland’ zu arbeiten? Eine genauer Blick auf die grüne Haushaltspolitik ist deshalb so wichtig, weil der verschriene und vermeintlich abgedankte Neoliberalismus in der Eurokrise neu aufgestellt wurde. Nach dem Leitbild der “marktkonformen Demokratien” ist eine neue Welle der staatskeptischen Liberalisierung eingeleitet worden. Nicht zufällig hat sich auch der Markenkern der FDP verschoben: von der Steuersenkungs- zur Schuldenvermeidungspartei. Über diese ideologische Schnittstelle, die bei uns im Gewand der nachhaltigen Haushaltspolitik daherkommt, sollten wir uns ernsthaft Gedanken machen. Aber zunächst zu den erfreulichen Aspekten des Wahlprogramms:
Grüne Visionen und verlässliche Prioritäten
Serge Latouche – Vordenker der französischen décroissance – entwickelt seine Wachstumskritik entlang der Maxime, ‘die Vorstellungskraft zu entkolonialisieren’, d. h. von vermeintlichen Zwängen frei zu machen. Ganz anders Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Bereits im Vorfeld der Wahl und nicht erst nach einem eventuellen Wahlsieg, werden die zentralen politischen Versprechen durchgerechnet: Was geht finanziell und was geht (noch) nicht? Man kann darin sicherlich, wie Latouche es wohl tun würde, einen Mangel an visionärem Mut sehen. Aus einer anderen Perspektive lässt sich darin natürlich ein Gewinn an politischer Verlässlichkeit sehen. Mehr noch: Es ergibt sich auch eine Gelegenheit, um linksgrüne Forderungen und Konzepte auf festen Boden zu stellen und ihnen dadurch mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Bei der Diskussion um die 420 Euro ALG II-Regelsatz ist das bereits gelungen. Vor der BDK in Hannover sind solide Finanzierungskonzepte erarbeitet worden, auf die sich bei Koalitionsverhandlungen pochen lässt.
Höhere Steuern und der Abschied von rot-grünen Trugschlüssen
Bahnbrechend ist der Paradigmenwechsel in der Steuerpolitik. Nachdem die Agenda 2010 noch massive Steuersenkungen beinhaltete, ist hier eine Kehrtwende vollzogen worden: unter anderem soll der Spitzensteuersatz auf 49% erhöht werden. Damit haben wir Grüne uns dezidiert von den Irrwegen der rot-grünen Regierungsjahre verabschiedet. Die Senkung der Steuersätze konnte eben nicht durch eine breitere Bemessungsgrundlage aufgefangen werden, ein Trugschluss, der zwischenzeitlich zu einer heftigen Haushaltsbelastung wurde. Stattdessen senden wir nun das Signal aus, dass solide Haushalte eine Stärkung der Einnahmeseite benötigen. An dieser Stelle ist vielleicht noch zu diskutieren, ob zugleich Einkommen unter 60000 Euro umfassend entlastet werden müssen – sprich auch diejenigen mit einem Monatseinkommen zwischen 3000 und 5000 Euro. Wird dieser steuerpolitische Schwenk tatsächlich ernstgenommen, dient er auch als Lebensversicherung gegen schwarz-grün.
Europäische Steuerarchitektur: Schluss mit der »Exit-Option«
Bei der intensiven Diskussion um die Einkommenssteuern rückt in den Hintergrund, dass auch die Körperschaftssteuer von Rot-Grün auf 19% gesenkt worden ist. Umso erfreulicher sind deshalb unsere Beschlüsse über eine europaweite Mindeststeuer für Unternehmen von 25%. Zumindest in Europa begegnen wir damit der steuerlichen »Exit-Option«, durch die Konzerne ihre Gewinnen dort anfallen lassen, wo die Steuersätze ihnen besonders lukrativ erscheinen. Während sich die Gerechtigkeitsdiskussion im Zuge der Finanzkrise stark personalisiert hat und sich vor allem auf die exzessiven ‚Boni’ gestürzt hat, sollte die gesellschaftliche Verantwortung von Konzernen nicht unterschlagen werden. Deren europaweite Mindestbesteuerung würde einen ruinösen Standortwettbewerb einschränken und ein neue Vorstellung von den positiven Auswirkungen der europäischen Integration stiften.
Ohne Widerhall: der weltweite Aufschrei gegen die Austerität
Alex Tsipras hat deutliche Wort gefunden, um die auferlegten Sparmaßnahmen der ‘Troika’ zu verurteilen: Die Politik der Austerität würde uns ‚direkt in die Hölle schicken’. Der von ihm beschworene soziale Abgrund eröffnet sich irgendwo am Ende der Abwärtsspirale aus Rezession und Haushaltskürzungen – die sich bisher noch auf Südeuropa konzentriert. Und damit zu den negativen Aspekten des Abschnitts ‘Besser Haushalten’: Die europaweite Kritik an einer Sparpolitik, die linear auf das Ziel ausgeglichener Haushalte hinführt, wird schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Natürlich entspricht das Bekenntnis zur Schuldenbremse aktuellen Parteibeschlüssen. Diese waren zum Teil aber sehr knapp – wie auf der Sitzung des Sonderländerrates im Sommer 2012 -, weshalb es angebracht wäre, das parteiinterne Unbehagen auch widerhallen zu lassen. Nicht einmal im schmalen Kapitel zur Europapolitik findet diese eine Resonanz. Mit etwas mehr Offenheit würde die vorgetragene Definition der Schuldenbremse, dass nämlich “Einnahmen und Ausgaben in einem stabilen Gleichgewicht” stehen müssen, als das erscheinen was sie in Wirklichkeit ist: klärungs- und interpretationsbedürftig. Wer die Bedenken gegenüber einer drakonischen Austeritätspolitik nicht ernst nimmt, wird irgendwann auch auf der Konjunkturinsel Deutschland praktizieren müssen, was u. a. in Frankreich längst getan wird. Dort wurden die Sparvorgaben in diesem Jahr bereits aufgeweicht.
Investitionen für den Green New Deal, Fehlanzeige!
Es wäre eigentlich zu wünschen, dass das Thema der öffentlichen Verschuldung mit einer völlig anderen Grundphilosophie angegangen wird. Angesichts des enormen Finanzierungsbedarfs eines Green New Deals (ein Begriff, der wohlgemerkt nur ein einziges Mal im ganzen Programmentwurf erwähnt wird) erscheint dies auch nötig zu sein. Anstatt schlicht zu setzen, dass eine “Politik auf Pump” nicht mehr verkraftbar sei, wäre zunächst einmal festzustellen, dass Schulden ein ganz normaler Bestandteil des Wirtschaftslebens sind. Sie sind eine unabdingbare Vorraussetzung der unternehmerischen Investitionstätigkeit. Auch der Staat agiert mithin als ökonomische Einheit, wenn er öffentliche Unternehmen betreibt und in Infrastruktur investiert. Auch für die Energiewende bedarf es staatliche Aufwendung, was sich u. a. bei der stotternden Einführung der Elektromobilität zeigt. Zum gewünschten Realismus in der Haushaltspolitik sollte deshalb auch gehören, den staatlichen Gesamtfinanzierungsbedarf der ökologischen Transformation zu prüfen. Es sollte ehrlich diskutiert werden, wie die Ausgaben für einen grünen “Kondratjew-Zyklus” (Fücks) zwischen Staat, Unternehmen und Verbraucher_innen aufzuteilen sind. Im Einklang damit ließen sich auch andere Prinzipien der Haushaltsführung etablieren: Mit der »Goldenen Regel«, die Kredite an Investitionen bindet, und einer »anti-zyklischen« Spar- bzw. Konjunkturpolitik, die wirtschaftliche Rezessionen abfedert, lassen sich solide Haushalte und wirtschaftliche Entwicklung verbinden.
Zwei Billionen alte Schulden – tilgen oder streichen?
"Schulden muss man bezahlen, das hört man immer, aber keiner fragt, warum", stellte David Graber fest und widmete sich der Moral der Verschuldung in einer historischen Abhandlung. Auch wir Grüne fragen selten, warum Schulden zu bezahlen sind und suchen lieber nach spitzfindigen Modellen, wie sie zu bezahlen sind. Eine Vermögensabgabe soll die Kosten der Bankenrettung wieder aufwiegen, während der europäische Altschuldentilgungsfonds die Minimierung der Staatsschuldenquoten garantieren soll. Alle Zeichen weisen also dahin, einmal aufgenommene Kredite und Staatsanleihen auch wieder zu begleichen. Mit David Graeber sollte man aber zumindest einmal die Frage stellen dürfen, ob das auch wirklich sein muss. Am Beispiel Griechenland konnte man hierzu zwei interessante Dinge beobachten: Erstens konnte ein Schuldenschnitt von ca. 100 Milliarden Euro durchgesetzt werden. Zweitens verzichtet die deutsche Regierung neuerdings auf 2,5 Milliarden Zinseinnahmen durch griechische Staatsanleihen. Ist so was nicht auch in Deutschland möglich? Könnten nicht einige der solventen Gläubiger des deutschen Staates dazu bewegt werden, zumindest auf ihre Zinseinahmen zu verzichten und damit neue Mittel für den ökologischen Umbau oder bessere öffentliche Institutionen freizumachen? Dem Wahlprogramm würde hierbei mehr Mut und Kreativität gut tun.
Fazit: So wie er jetzt da steht, bleibt der Entwurf grüner Haushaltspolitik zwiespältig. Er schwankt zwischen den Paradigmen eines sozial-ökologischen Kurswechsel und einer allzu starren, rückschrittlichen Auslegung solider Staatsfinanzen.
Oliver Powalla ist angehender Bürgerdeputierter im Haushaltsausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg und gehört der Berliner Delegation für die BAG WiFI an.
8. April 2013 um 21:04
einerseits lobst du die solide Finanzierungskonzepte mit denen sich linke positionen durchsetzen lassen, aber andererseits sollen gläubiger auf zinsen verzichten. und du fragst, ob man schulden wirklich zurückzahlen muss. aktuell liegen die zinssätze für bundesanleihen im 1. jahr bei 0, 75% also unter der inflationsquote. wovon sollen den die gläubiger was abgeben? irgendwie ist der artikel ziemlich inkonsistent. politische verantwortung sieht für ich anders aus. schade!
10. April 2013 um 7:29
Einen positiven Effekt hätte es schon, wenn Deutschland darüber nachdenkt, Schulden nicht mehr zu begleichen – endlich würde die Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen sinken und hoffentlich die nach griechischen oder spanischen steigen.