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Klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung: Prüfstein für Europa

5 vor 12 war gestern. Die Klimakrise und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind längst zur Existenzfrage geworden: Unser aller Zukunft steht auf dem Spiel. Und wie so oft, trifft es die ärmsten Regionen der Welt zuerst – und damit just die Menschen, die am wenigstens zur Erderwärmung beigetragen haben.

Für den globalen Süden ist die Klimakrise längst kein theoretisches Phänomen mehr, sondern knallharte Realität. Extreme Wetterereignisse nehmen zu, ganze Lebensräume und Ökosysteme werden zerstört. Bestehende Probleme verschärfen sich, Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen spitzen sich zu. Vor diesem Hintergrund muss es unser vorderstes Ziel sein und bleiben, möglichst vielen Menschen ihre bisherige Heimat zu erhalten. Kein Weg führt vorbei an radikalem Klimaschutz und einem grundlegenden Wandel unserer Lebens- und Wirtschaftsweise.

Doch selbst wenn es uns gelingen sollte, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, werden wir die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen – und die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ohnehin. Viel zu lange wurden notwendige Maßnahmen verschlafen. Eine gute Klimapolitik umfasst deshalb immer auch eine verantwortungsvolle Klimafolgenanpassung: bei uns, vor allem aber in jenen Ländern, die von der Klimakrise in besonderem Maße betroffen sind.

Deutschland und die EU müssen hier Vorreiter sein. Sie sollten die betroffenen Staaten technisch und finanziell bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen und ihnen bei der Bewältigung von humanitären Katastrophen infolge extremer Wetterereignisse beistehen. Den europäischen Staaten nämlich kommt eine ganz besondere Verantwortung zu. Es waren ja gerade nicht die Entwicklungsländer, sondern die westlichen Industriestaaten, die durch eine vollkommen kopflose Agrar- und Energiepolitik, die durch ihr Wirtschaften und Konsumieren wesentlich zur menschgemachten Klimakrise beigetragen haben. Immer wieder haben wir die Kosten unseres Lebenswandels in die Länder des globalen Südens ausgelagert, externalisiert, outgesourct. Unser Wohlstand – er fußt zu großen Teilen auf der Ausbeutung der ärmsten Regionen der Welt.

Und diese Ausbeutung hat auch eine klimapolitische Komponente. Dabei droht insbesondere in Staaten, die bereits jetzt nicht in der Lage oder willens sind, das Nötigste für ihre Bevölkerung bereitzustellen, vor allem eines: Vertreibung. Hitzewellen und Überschwemmungen, die stetige Ausbreitung der Dürregebiete, der steigende Meeresspiegel – sie alle werden dazu führen, dass immer mehr Menschen ihr Zuhause zeitweise oder permanent verlassen müssen, dass gar jahrtausendealte Kulturen verloren gehen.

Spätestens 2050 wird der pazifische Inselstaat Kiribati nicht mehr bewohnbar sein. Aber auch in Regionen, die nicht vollständig zu verschwinden drohen, wird es zu Wanderbewegungen kommen. Es ist deshalb höchste Zeit, dass wir den Themenkomplex der „klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung“ auf die politische Tagesordnung heben. Weiter auszuharren oder gar den Kopf in den Sand zu stecken, darf keine Option sein. Weder für Deutschland noch für die EU, und für uns Grüne schon mal gar nicht.

Stattdessen müssen wir dringend Maßnahmen auf internationaler Ebene erörtern, die den betroffenen Menschen eine möglichst frühzeitige, selbstbestimmte und würdevolle Migration erlauben. In einem ersten Schritt sollten Deutschland und die EU dabei jene Prozesse unterstützen, in denen bereits mit den betroffenen Staaten über völkerrechtliche Ansätze zum Umgang mit klimabedingter Migration beraten wird: die „Task Force on Displacement“, die „Nansen-Initiative“, den „Warschauer Mechanismus“. Denn nur gemeinsam mit der globalen Zivilgesellschaft, mit Expertinnen und Wissenschaftlern, insbesondere aber in enger Abstimmung mit den Betroffenen wird sich das langfristige Ziel erreichen lassen: einen internationalen Paradigmenwechsel herbeizuführen, der die Auswirkungen der Klimakrise anerkennt und Menschen, die ihre bisherige Heimat auch infolge klimatischer Veränderungen verlassen müssen, eine halbwegs planbare Migration ermöglicht.

Wie in anderen Fällen auch, wird diese Migration vornehmlich innerhalb des jeweiligen Landes stattfinden, gegebenenfalls in der Region. Gerade für die Menschen, die permanent ihr Zuhause verlieren, wollen wir aber auch Migrationsmöglichkeiten nach Europa schaffen. Die Mitgliedstaaten der EU sollten deshalb im Rahmen einer gemeinsamen Einigung den Bewohnerinnen und Bewohnern bedrohter Inselstaaten die Staatsbürgerschaft anbieten, die sie durch das Verschwinden ihres Staatsgebiets de facto verlieren würden. Konkret soll von den europäischen Industriestaaten ein Klimapass eingeführt werden – zusätzlich und nicht alternativ zu weiteren Arbeitsprozessen. Dabei wird es auch darauf ankommen, die Betroffenen gezielt zu unterstützen und sie nicht zuletzt finanziell in die Lage zu versetzen, die Möglichkeiten des Klimapasses auch tatsächlich zu nutzen.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was geschehen soll, wenn es für eine selbstbestimmte Migration zu spät ist. Was passiert also mit Menschen, die nicht frühzeitig migrieren, sondern urplötzlich vor klimabedingten Wetterextremen fliehen müssen? Für sie sieht das internationale Asylrecht bislang keinen Schutzstatus vor. Auch hier müssen Deutschland und die EU vorangehen: Nicht nur der Klimapass, auch der Zugang zu internationalem Schutz für „Klimaflüchtlinge“ muss dringend auf die Agenda – in Brüssel, Genf und New York. Selbstverständlich sind die Staaten der Europäischen Union nicht allein für den Klimawandel verantwortlich. Aber sie können vorangehen, können Beispiel sein und international um Unterstützung werben. Eine erste Chance dafür bietet die Klimakonferenz in Katowice im Dezember diesen Jahres.

Derweil erinnert uns nicht zuletzt das gastgebende Polen daran, in welchen Zeiten wir leben – verläuft doch die die politische Trennlinie immer häufiger zwischen einem transnationalen Politikentwurf und nationalem Egoismus. Einmal mehr stehen wir vor einer Richtungsentscheidung: Wie werden sich Deutschland, wir wird sich die EU positionieren? Für uns ist die Antwort eindeutig: Gerade weil Donald Trump aus dem Klimaabkommen aussteigt, gerade wenn Sahra Wagenknecht die sozialen Fragen im verengten Raum des Nationalstaats zu beantworten sucht, treten wir umso entschiedener für eine Politik der globalen Verantwortung ein.

Unsere Solidarität kennt keine nationalen Grenzen, und jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde. Dabei geht es nicht um Almosen. Es geht schlichtweg darum, dass Europa das Verursacherprinzip ernstnimmt, entsprechend Verantwortung schultert und die Menschenrechte eines jeden als das anerkennt, was sie sind: universell, unteilbar, unveräußerlich.

Der Umgang mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung entpuppt sich vor diesem Hintergrund zum Prüfstein. Wird es uns also gelingen, individuelles Recht in konkrete Politik zu wandeln, völkerrechtliche Lücken entschlossen und mutig zu schließen, die Würde der Betroffenen systematisch ins Zentrum unserer klimapolitischen Erwägungen zu rücken? Oder nehmen wir es hin, dass das Abschottungsprinzip „Mittelmeer“ im Umgang mit klimabedingter Vertreibung globale Ausmaße annimmt? Es wäre das endgültige Ende europäischer Humanität und Verantwortung. Nichts weniger gilt es, zu verhindern.

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