In den letzten drei Jahren hatten wir als Grüne angesichts der terroristischen Bedrohungen aber auch aufgrund der hohen Zahl von nach Europa und Deutschland Geflüchteten eine äußerst schwierige innenpolitische Debattenlage. Lange Zeit haben wir es überzeugend geschafft, Rechten und Populisten eine auf Fakten basierende, streng rechtstaatliche und freiheitliche Sicherheitspolitik entgegen zu setzen. Vor allem jedoch seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 gerieten wir als Grüne im öffentlichen Diskurs immer mehr in die Defensive.
In Reaktion darauf mehrten sich auch bei uns die Stimmen, doch stärkere Zugeständnisse an den nun einmal freiheitsskeptischeren und auch nur begrenzt zuwanderungsfreundlichen Zeitgeist zu machen. Diese Debatte hat unsere Position in Umfragen und Wahlergebnissen nicht verbessert, im Gegenteil: Die einen haben uns trotz der Zugeständnisse nicht gewählt und die anderen wandten sich ab, weil wir mit unserem bürgerrechtlichen Profil nicht mehr erkennbar waren.
Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in den letzten Wochen unsere freiheitlichen und rechtstaatlichen Überzeugungen wieder offensiver vertreten. Das kommt auch im Kapitel „Freiheit im Herzen“ gut zum Ausdruck. Es ist ein guter Gegenentwurf zum Rechtspopulismus, aber auch zu der vom Rechtspopulismus getriebenen Symbolpolitik von CDU, CSU und SPD.
Unsere bürgerrechtliche Grundhaltung ist ein Alleinstellungsmerkmal und entspringt der Grünen Gründungserzählung. Egal, ob man sich als Umwelt-, Friedens-, Frauen- oder Menschenrechtsaktivist*in an der Gründung unserer Partei beteiligt hat: Immer ging es auch um die Rechte der/des Einzelnen gegenüber der staatlichen Bürokratie. In diesem Diskurs haben wir auch gelernt, nicht die Rechte des einen gegen die des anderen auszuspielen, sondern zu erkennen: Die Freiheit und die Bürgerrechte jeder/s Einzelnen sind ein zentraler Wert, mit dem man keinen Kuhhandel betreibt.
Das heißt nicht, dass wir uns den aktuellen Debatten verschließen; im Gegenteil: Wir führen Sie entschlossen auf der Basis unserer Überzeugungen. Wir bekennen uns klar zu Toleranz und Vielfalt, die uns als Grüne immer ausgemacht hat und wenden uns scharf gegen jegliche Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wir setzen uns ein für mehr Demokratie und Bürger*innenbeteiligung. Und wir streiten für eine Sicherheitspolitik, die den Rahmen des Rechtstaates weder verlässt noch ständig zu dehnen versucht. Der Rechtstaat ist für uns kein „Steh-im-Weg“, er ist der Gestaltungsrahmen, in dem wir uns bewegen und den wir entschlossen nutzen wollen.
Auf Grundlage dieser Prämisse bringen wir uns in die Sicherheitsdebatte aktiv ein und zeigen, Sicherheit geht (auch) anders. Wir reagieren nicht auf jedes Ereignis mit ebenso populistischen wie wirkungslosen Gesetzesverschärfungen. Wir schauen uns zunächst die Ursachen genau an und handeln danach. Uns geht es um Wirkung und nicht um Schein, wenn wir uns für eine frühzeitige Bekämpfung von Radikalisierung durch Prävention einsetzen. Hier hat es die Bundesregierung jahrelang versäumt, regionale Ansätze in einer bundesweiten Präventionsstrategie zu bündeln. Eine solche Strategie bindet Geld und Ressourcen und ist nicht unmittelbar als politisches Handeln zu vermarkten. Sie leistet jedoch durch handfeste Ergebnisse einen echten Beitrag zur Gefahrenabwehr.
Genau wie eine bessere Personalpolitik bei der Polizei, ein Bereich, mit dem man uns als Grüne früher nicht automatisch in Verbindung brachte. Das mag historisch begründet sein, in der aktuellen politischen Debatte liegt es nah, dass gerade Grüne sagen: Wir brauchen eine personellen Aufwuchs bei der Polizei. Denn ausreichend und gut ausgestattetes Personal ist ein wichtiger Garant sowohl für ein Höchstmaß an Sicherheit als auch für Bürger*innen- und Menschenrechte. Die Bundesregierung hat personell jahrelang Raubbau betrieben und erst im letzten Jahr umgesteuert. Zumindest ist nun Geld für neue Stellen da, allerdings wird sich zeigen, wie gut das personalpolitisch hinterlegt ist. Wir haben im Wahlprogramm sehr genau unsere Vorstellungen einer personell gut aufgestellten, modernen und bürgernahen Polizei dargelegt. Es ist gut, dass sich immer mehr Polizist*innen bei uns engagieren, die sich als PolizeiGrün zusammengeschlossen haben. Sie haben genau diesen Teil des Wahlprogramms begleitet und gute Änderungsanträge beigesteuert. Wir brauchen diesen fachlichen Input, um unseren Anspruch zu untermauern, die innere Sicherheit mit zu gestalten.
Kernprojekt einer modernen und progressiven Sicherheitspolitik ist der Umbau unserer Sicherheitsarchitektur. Die diversen Skandale von NSU bis NSA haben einen gewaltigen Reformstau offengelegt. Gerade die Rolle der Verfassungsschutzbehörden und Dienste muss massiv hinterfragt werden, aus bürgerrechtlicher und aus sicherheitspolitischer Perspektive. Diese Behörden sind maximal intransparent aufgestellt. Ihr Handeln ist aktuell kaum nachvollziehbar. Solche Institutionen sind einer demokratischen Gesellschaft unwürdig. Hier brauchen wir eine klare Zäsur und einen institutionellen Neustart. Wir Grüne profilieren uns als Modernisierer, für die Sicherheit, Effektivität und Bürger*innenrechte wichtiger sind, als auf langen Traditionen fußende Seilschaften in den Behörden und Parteien. Dabei entwickeln wir eine begehbare Alternative zwischen reiner Abrisspolitik und konservativer Bestandswahrung à la CDU, CSU, FDP und SPD. Wir stehen für Umbau und Modernisierung.
Es sind noch einige Änderungsanträge zum Kapitel „Freiheit im Herzen“ unterwegs, die durchaus Unterstützens wert sind, vor allem da, wo im Polizeibereich fachliche Präzisierungen vorgeschlagen werden. Denn wir haben das Potential unsere Sprach- und Politikfähigkeit im Bereich der inneren Sicherheit stetig auszubauen. Wir stehen nicht für schnelle Antworten entstanden im Durchlauferhitzer populistischer Debatten, sondern für fachlich fundierte Zukunftskonzepte einer modernen Bürger*innengesellschaft.