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Eine Bürgerversicherung, die allen nach gleichen Regeln Schutz garantiert

Das Deutsche Sozialversicherungssystem – um es mit den Worten von Rainald Grebe zu sagen – „war war war war war mal geil“. Denn es hat ein solidarisches Sicherungssystem geschaffen, das gezielt die schwächste Gruppe – die Arbeiter*innen – gegen die großen Lebensrisiken (Altersarmut und Krankheit) absicherte. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für die heutige Zeit nicht mehr passt.

Ob in der Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung: Es kann die Absicherung und Solidarität, die für heute nötig wäre, nicht mehr wirklich organisieren, gerade die Reichsten und die am meisten Schutzbedürftigen fallen häufig raus. Zu groß sind die Ungleichheiten, die in der Bevölkerung zunehmend für Unmut sorgen, insbesondere zwischen den 86,1 % gesetzlich, den 10,7 % privat und den 3,2 % anderweitig oder gar nicht versicherten Menschen. Immerhin möchte doch meinen, alle Patient*innen werden gleich behandelt – oder? Pustekuchen.

Ernüchternde Erkenntnisse auf diese Frage bringt die Arbeit „Vergleich der Wartezeiten von gesetzlich und privat versicherten in der ambulanten ärztlichen Versorgung“ von Martin Schellhorn aus dem Jahr 2007. Während die Wartezeit auf einen Termin beim Hausarzt zwischen gesetzlich Versicherten lediglich 5 % zugunsten der privat Versicherten ausfällt, ändert sich dieses Verhältnis beim Facharzt. Hier beträgt der Unterschied 20 % zugunsten der privat Versicherten. Krasser noch wird das Bild beim Warten in der Praxis. Ob beim Haus- oder beim Facharzt: privat Versicherte haben kürzere Wartezeiten. Keine bis 15 Minuten Wartezeit haben nur etwa 25 % der Gesetzlichen, aber dafür fast 50 % der Privaten. Diese Unterscheidung von Patient*innen in Kategorien erster und zweiter Klasse ist ungerecht und muss der Vergangenheit angehören!

Ähnliches gilt bei der Pflegeversicherung. In der Pflege herrscht darüber hinaus Personalknappheit, was bei der relativ geringen Entlohnung einer schwierigen Arbeit nicht überrascht. Die Pflegekräfte, die es gibt, haben meist zu wenig Zeit für eine ausreichende und patientennahe Pflege, da die Zeitbudgets zu eng kalkuliert sind. Auch die Rentenversicherung erinnert mehr an ein Ständesystem in der Altersvorsorge als an ein zukunftsfestes Modell, das Altersarmut verhindert. Aktuell gibt es hier drei Versicherungstypen: Zum einen die abhängig Beschäftigten, die in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen. Zum zweiten gibt es die Versorgungswerke für die freien Berufe sowie für Selbstständige und Ärzte. Für die Beamt*innen und die Abgeordneten gibt es – drittens – die Pension.

Die Mehrheit der Deutschen empfängt nach dem Ruhestand Zahlungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung. Für die Männer bedeutet dies durchschnittlich einen monatlichen Bruttobetrag von 1.305 Euro, für die Frauen 971 Euro. Dem gegenüber stehen 10 % der Männer und 5 % der Frauen, die in die Beamtenversorgung fallen. Der monatliche Bruttobetrag für die Männer beträgt hier 2.967 Euro, der der Frauen hingegen 2.028 Euro. Ähnlich wie bei der Krankenversicherung sind also gerade die besser Verdienenden nicht Teil des Solidarsystems.

Darüber hinaus passt das heutige System immer weniger zur Realität einer flexibleren Arbeitswelt, in der immer weniger Menschen nach der Ausbildung oder dem Studium bis zur Rente im gleichen Job bleiben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Erwerbsbiographien sind vielseitiger geworden: Häufige Jobwechsel, Befristungen, Arbeitslosigkeit, Elternzeit, Krankheit, Selbständigkeit, Honorararbeiten und so weiter. Diese Entwicklung wird durch die Digitalisierung voraussichtlich noch weiter zunehmen. Gerade viele Selbständige in der digitalen Wirtschaft sind dabei oft nicht gegen Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit abgesichert. Genau das aber sollte doch ein soziales Sicherungssystem leisten: Dass alle gegen die großen Lebensrisiken abgesichert sind.

Die zweite und dritte Säule, die die gesetzliche Rente ergänzen sollen, gleichen das nicht aus. Vielmehr sind es in etwa dieselben Personengruppen, die schon in der ersten Säule wenig oder keine Rentenanwartschaften ansammeln, die auch in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge schlecht oder gar nicht vorsorgen (können). Deshalb brauchen wir ein soziales Sicherungssystem, das verlässlich, solidarisch und gerecht ist!

Wir Grüne setzen dafür auf die Bürgerversicherung, die allen Bürger*innen nach gleichen Regeln Schutz garantiert. Konkret wollen wir in der Gesundheit dafür sorgen, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen gesetzlicher und privater Versicherung ersetzt wird durch ein alle Personen umfassendes gesetzliches System mit verschiedenen Kassen, während Zusatzversorgungen bei privaten Versicherungen versichert werden können. Ziel ist, dass nicht das Einkommen, sondern die Schwere der Erkrankung darüber entscheidet, welche Leistungen jemand erhält. Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in sollen wieder wie früher die gesetzlichen Krankenversicherungsbeiträge hälftig übernehmen (Parität).

In der Pflege wollen wir dafür Sorge tragen, dass Pfleger*innen besser bezahlt werden. Zudem werden wir eine dreimonatige Freistellung mit Lohnersatzleistung für alle Pflegenden möglich machen – die PflegezeitPlus. In der Altersvorsorge stehen ein stabilisiertes Niveau der materiellen Absicherung, eine nachhaltige und gerechte Finanzierung sowie die Garantierente für Menschen mit niedrigen Einkommen im Zentrum. In Zukunft sollen Arbeitslose, abhängig Beschäftigte, Selbstständige, Abgeordnete – einfach alle – in eine Versicherung zur Altersvorsorge einzahlen. Ein Bürgerfonds soll – wie in Schweden – eine kostengünstige kapitalgedeckte Altersvorsorge als Ergänzung organisieren und damit das Riestersystem ersetzen, das mehr den Anbietern als den Kunden nutzt. Das Ziel einer Bürgerversicherung in der Rente lässt sich nicht schnell erreichen. Es braucht Übergangsfristen und Zwischenschritte. Was aber relativ einfach machbar ist, ist der Systemwechsel bei den Abgeordneten. Diesen finde ich auch besonders wichtig: Denn zu recht halten viele die spezielle Altersversorgung von uns Abgeordneten für ungerechtfertigt.

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