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Wahlfreiheit und Gleichberechtigung

Für die Anerkennung und angemessenen Schutz der vielfältigen Formen des Zusammenlebens                                                

In unserer pluralen Gesellschaft leben Menschen auf vielfältige Art und Weise  zusammen. Mit oder ohne Kinder, in Ein-Eltern-Familien, in Regenbogenfamilien, in Mehr-Eltern-Familien, mit Adoptiv- oder Stiefkindern, verheiratet, verpartnert oder eben nicht. Ein Staat, der allein die in Ehe gegossene Familienform rechtlich berücksichtigt, wird dieser Pluralität nicht gerecht. Er verstößt auch gegen das Verfassungsgebot allen Kindern, unabhängig von der Familienform, „die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen“ (Artikel VI 5 GG).

Ein liberaler Gesetzgeber hat die Aufgabe Schwache durch Recht zu schützen, einen rechtlichen Rahmen für die Bedürfnisse der Menschen nach Absicherung anzubieten und nicht die Menschen seinen Ordnungsvorstellungen zu unterwerfen. Dabei muss der Gesetzgeber die Willensentscheidung für oder gegen bestimmte Regelungen für Lebensgemeinschaften ernst nehmen. Der Gesetzgeber muss unterschiedliche Familienformen unterstützen und  Kinder fördern, unabhängig in welcher Familie sie leben. Gleichzeitig aber auch das Unterhaltsrecht so zu gestalten, dass es nicht die Schwächsten benachteiligt.

Durch die Reform des Unterhaltsrechts von 2008 müssen Ehe- wie Lebenspartner*innen nach einer Trennung selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Grundsätzlich ist es richtig, die eigenständige Existenzsicherung zu fördern, dabei dürfen die Schwächeren nicht auf der Strecke bleiben. Menschen – insbesondere Frauen – die zugunsten von Partnerschaft, Kindern und Haushalt jahrelang auf eine eigene Existenzsicherung verzichtet haben, dürfen nicht der Macht des Stärkeren schutzlos ausgeliefert sein. Einerseits durch das Ehegattensplitting finanzielle Anreize für Alleinverdiener-Ehen und ungleiche Einkommensverteilung zu schaffen, andererseits die nicht Lohnarbeitenden aus genau diesen Ehen nach einer Scheidung unterhaltsrechtlich weitgehend schutzlos zu stellen, ist paradox.

Neben einem Unterhaltsrecht, das zur eigenen Existenzsicherung anreizen soll, aber den nicht weitgehend rechtlos zurücklässt, der seine Entscheidungen im Vertrauen auf die gemeinsame Einkommens- und Vermögens Basis der Ehe oder Lebenspartnerschaft gefällt hat, braucht es deshalb auch endlich die Überwindung der Konstruktion des geltenden Ehegattensplittings.

Zusätzlich zu dem Grundsatz, die Schwächeren durch Recht zu schützen, muss das Kindeswohl bei der Ausgestaltung von Familienrecht der zentrale Ausgangspunkt aller Überlegungen sein.  Familie ist da, wo Kinder sind. Um der Kinder willen, darf bei der Förderung und Unterstützung von Familien nicht nach dem Familienstand der Eltern unterschieden werden. 2015 waren schon über 30 Prozent aller Familien, in denen minderjährige Kinder leben, keine Ehen mit Kindern, sondern zum Beispiel Alleinerziehende mit Kind, Patchworkfamilien, nichteheliche Familien oder Regenbogenfamilien.[1]

Diese Kinder dürfen nicht schlechter gestellt werden, nur weil ihre Familie nicht der traditionellen heterosexuellen ehelichen Kleinfamilie entspricht. Das Grundgesetz verlangt gleiche Bedingungen für alle Kinder.  Wem das Kindeswohl am Herzen liegt, der muss für gleiche Rechte für alle Kinder sorgen.

Bis 2001 kannte das deutsche Familienrecht für das partnerschaftliche Zusammenleben nur die verschiedengeschlechtliche Verlobung und Ehe. Für gleichgeschlechtliche Paare wurde von Rot-Grün dann die Lebenspartnerschaft mit den gleichen Verpflichtungen wie für Ehepaare eingeführt. Seit 2009 wurde die Lebenspartnerschaft durch das Bundesverfassungsgericht auch zunehmend in immer weiteren Rechtsgebieten mit den gleichen Rechten ausgestattet.  

Gleiche Liebe, gleiche Rechte

Die eingetragene Lebenspartnerschaft war ein erster und wichtiger Schritt zur rechtlichen Anerkennung lesbischer und schwuler Paare. Der nächste Schritt muss die Aufhebung des Eheverbotes für gleichgeschlechtliche Paare sein.

2013 brachte Merkel in der Wahlarena ihre Haltung zur Ehe für Alle auf den Punkt:  „Ich tue mich schwer mit der völligen Gleichstellung!“ – so als wäre ihr Bauchgefühl ein hinreichender Grund für Diskriminierung. Institutionen wie die Ehe muss sich in ihrer Organisation an den menschenrechtlichen Prinzipien orientieren und nicht an Unverträglichkeiten der Politiker*innen. Paare zweiter Klasse darf es nicht geben, denn gleiche Liebe verdient gleiche Rechte!

Gleiche Pflichten – Gleiche Rechte, nur das ist fair!

Rechte für Kinder stärken – unabhängig von der Familienform

Immer mehr Kinder wachsen in Regenbogenfamilien auf, und das genauso gut wie Kinder in anderen Familien. Die Gesetzeslage hinkt hinterher und statt diese Kinder zu unterstützen und ihnen rechtliche Gleichheit zu ermöglichen, werden Kinder gleichgeschlechtlicher Paare diskriminiert.

Wird ein Kind in eine Lebenspartnerschaft hineingeboren, bleibt die Co-Mutter, die zwar soziale, aber nicht biologische Mutter ist, rechtlich erst einmal außen vor. Eine Elternschaftsvermutung gibt es nur für Ehemänner, nicht aber für Lebenspartnerinnen, die unabhängig des rechtlichen Status Verantwortung als zweiter Elternteil übernehmen.

All diese Benachteiligungen gehen vor allem zu Lasten der Kinder. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre sozialen Eltern ihnen gegenüber auch Rechte und Pflichten wahrnehmen können und müssen. Solche Benachteiligungen sind nicht im Sinne von Kindern und ihren Familien.

Nicht zu rechtfertigen ist auch die Benachteiligung von Paaren in eingetragenen Lebenspartnerschaften, wenn es um die finanzielle Unterstützung zu reproduktionsmedizinischen Maßnahmen geht.

Viele Ungleichbehandlungen lassen sich durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beenden. Die Eheöffnung muss also ein erster Schritt sein. Um den Familienformen unserer vielfältigen Gesellschaft besser gerecht zu werden, müssen aber weitere Schritte folgen.

Ein, zwei, mehr Eltern

In vielen Familien übernehmen mehr als ein oder zwei Personen Verantwortung für ein oder mehrere Kinder. Das kann die Patchworkfamilie sein, in der die biologischen Eltern neue Partner*innen haben. Oder die Regenbogenfamilie, in der ein lesbisches und ein schwules Paar gemeinsam Kinder bekommen. Sich an Erziehung und Unterhalt zu beteiligen und Verantwortung für Kinder zu übernehmen braucht keine biologische Verwandtschaft. Für soziale Eltern fehlt dennoch der rechtliche Rahmen, der ihre Familienform absichert, und das, obwohl sie feste Wegbegleiter*innen für ihre Kinder sind.

Das Familienrecht muss weiter gedacht werden und rechtliche Möglichkeiten für Mehreltern-Konstellationen schaffen. Das bislang vorgesehene  „kleine Sorgerecht“ – ausschließlich möglich für verheiratete Paare,  vereinfacht dem sozialen Elternteil Alltagsangelegenheiten wie Arztbesuche oder Unterschriften für die Schule zu übernehmen. Für Familien ohne Trauschein greift diese Möglichkeit jedoch nicht. Stiefeltern soll das „kleine Sorgerecht“ auch dann ermöglicht werden, wenn die leiblichen Eltern ihre neuen Partner*innen nicht heiraten oder außerhalb der Stieffamilie noch ein weiterer sorgeberechtigter Elternteil lebt. Dies ist auch deshalb mehr als zeitgemäß, weil das geteilte Sorgerecht mittlerweile der Regelfall ist.

Um die Rahmenbedingungen für soziale Elternteile und vor allem der Kinder zu verbessern, braucht es jedoch auch ein neues Rechtsinstitut, dass es leiblichen Eltern ermöglicht, elterliche Mitverantwortung auch auf soziale Eltern rechtsverbindlich mit zu übertragen. Umfassen soll die „elterliche Mitverantwortung“ Angelegenheiten des täglichen Lebens wie auch beim „kleinen Sorgerecht“. Sozialen Eltern wird  es dadurch einfacher möglich, Routineentscheidungen beim Arzt zu treffen, Schulausflüge zu erlauben, mit dem Kind Urlaubsreisen zu machen. Die „elterliche Mitverantwortung“, die durch ein ausweisähnliches Dokument nachweisbar sein soll, bietet nicht nur Rechtssicherheit für die Betroffenen, sondern auch für Dritte wie Lehrer*innen, Ärzt*innen oder Behörden, die dadurch wissen, welche Befugnisse die sozialen Eltern haben zum Beispiel, ob sie ihnen Auskunft über Schulleistungen oder  den Gesundheitszustand des Kindes geben dürfen. Das umständliche Hantieren mit Vollmachten, die für Dritte nicht immer eindeutig gestaltet sind und die durch ihre einseitige Widerrufbarkeit keine langfristige Stabilität bieten, kann so durch eine praktikablere Lösung ersetzt werden.

Dieses Rechtsinstitut soll ermöglichen, dass neben den leiblichen Eltern maximal zwei weiteren Erwachsenen elterliche Mitverantwortung übertragen werden kann, also zum Beispiel den neuen Partner*innen der leiblichen Eltern. Voraussetzung ist, dass die Beteiligten sich einig sind und keine Sorgerechtsstreitigkeiten entstehen.

Durch die elterliche Mitverantwortung entstehen Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind. Umgekehrt entstehen dem Kind aber keine zusätzlichen Unterhaltspflichten, da andernfalls die Gefahr einer finanziellen Überlastung des Kindes bestünde. Soziale Eltern werden ebenso wie leibliche Eltern in die Leistungen der Familienförderung einbezogen, können also Kindergeld, Kinderfreibeträge, Elterngeld erhalten und Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung  geltend machen.

Ergänzend muss es die Möglichkeit geben, soziale Elternschaftskonstellationen auch schon vor der Geburt eines Kindes zu vereinbaren, damit die zukünftigen Eltern bereits während der Schwangerschaft planen und sich absichern können. Vorgeburtliche Erklärungen gibt es bislang zum Beispiel in Form einer vorgeburtlichen Sorgeerklärung oder Vaterschaftsanerkennung sowie der vorgeburtlichen Einwilligung des Vaters in die Adoption. Ähnlich muss es auch für Mehrelternkonstellationen möglich sein, bereits während oder vor der Schwangerschaft rechtlich verbindliche Regelungen für ihr Kind zu treffen (Elternschaftsvereinbarung). So könnte ein lesbisches und ein schwules Paar, die gemeinsam in einer Regenbogenfamilie ein Kind bekommen wollen, bereits vor der Geburt den jeweils nicht leiblichen Eltern „elterliche Mitverantwortung“ übertragen oder zwischen Mutter und Samenspender verbindliche Regelungen zur Vater-Kind-Beziehung vereinbart werden.

Jenseits von Ehe und Familie – Eine gesetzgeberische Aufgabe?

Viele Menschen leben verbindlich und solidarisch  außerhalb von Ehe und Lebenspartnerschaft zusammen. Sie haben sich gegen die dauerhaften unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen dieser Rechtsinstitute entschieden, aber nicht zwingend für weitgehende rechtliche Ignorierung ihres Zusammenlebens.

Zur Absicherung von Formen des Zusammenlebens und Füreinandersorgens gibt es im ausländischen Familienrecht unterschiedliche Rechtsmodelle neben der Ehe für gleich- und verschiedengeschlechtliche Paare: zum Beispiel in Frankreich den pacte civil de solidarité („ziviler Solidaritätspakt“) oder in Schweden die Sambo-Gesetze.  Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass es an solchen Konstellationen durchaus Interesse gibt.

Ein rechtsfreier Raum ist das nichteheliche Zusammenleben  auch in Deutschland nicht. Es ist überwiegend allerdings von Richterrecht geprägt.[2]

Wir Grünen sollten offen sein, für die Diskussion über neue familienrechtliche Absicherungen jenseits von Verlobung und Ehe für alle.

Dabei sollten folgende Maximen leitend sein:

  • Neue familienrechtliche Regelungen müssen sich an tatsächlichen Absicherungsbedürfnissen der Menschen orientieren. Wünschenswert wäre eine stärkere Klarheit über die Frage zu bekommen, welche Absicherungswünsche Menschen in Lebensgemeinschaften haben, die sich gegen die Ehe entschieden haben. Das Familienrecht muss diskriminierungsfrei sein: Familienrechtliche Regelungen dürfen keine benachteiligende Auswirkungen auf Kinder aufgrund des Familienstandes der Eltern haben. Erwachsene dürfen nicht aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.
  • Eine rechtliche Regelung darf nicht die freie Entscheidung der Menschen gegen eine Eheschließung ignorieren. Eine Zwangsverrechtlichung aufgrund von bloßem Zusammenleben scheidet daher grundsätzlich aus. Beim Zusammenziehen von Menschen darf nicht der erste Weg zum Notar führen müssen, um sich durch Erklärungen vor staatlicher Zwangsbeglückung zu schützen.
  • Erb[3]-, steuer- und sozialrechtliche Regelungen (nicht nur das dringend zu überwindende Ehegattensplitting) der  Ehe sind Rechtsfolgen der unterhaltsrechtlichen Regelungen. Sie können nur auf weitere partnerschaftsrechtliche Regelungen übertragen werden, wenn sie mit den gleichen Unterhaltsregelungen einhergehen. Dies verlangt Artikel VI Absatz 1 i.V.m. Artikel III Absatz 1 GG. Rechtspolitische Rosinenpickerei zugunsten nichtehelicher Lebensgemeinschaften lässt dieser besondere verfassungsrechtliche Gleichheitssatz nicht zu.

Innerhalb dieses Rahmens sind verschiedene Reformansätze denkbar:

  • Es ist nicht verständlich, warum Verlobte für das bloße, auch geheime, Versprechen der Eheschließung in vielen Bereichen den Schutz als Familienangehörige erhalten können,  nichteheliche Lebensgemeinschaften, die dagegen tatsächlich dauerhaft gemeinsam leben und Verantwortung füreinander übernehmen, davon ausgeschlossen sind. Hier könnte eine gewillkürte, also selbstgewählte, amtliche Registrierung Abhilfe schaffen.
  • Solchen registrierten Paare könnte man familienrechtliche Partnerschaftsverträge [4]anbieten, die  unterhalb der Regelungen für die Ehe   gleichsam wie in einem Baukastensystem Rechte- & Pflichtenpakete vereinbar   machen, wie man das ähnlich auch mit den Vereinbarungen zum ehelichen und lebenspartnerschaftlichen Güterstand kann.[5] Die Übernahme solcher Pflichten und die Gewährung der damit verbundenen Rechte muss allerdings von dem expliziten und dokumentierten Willen der beteiligten Erwachsenen abhängig sein.
  • Mit der Einführung des Rechtsinstitutes der „sozialen Elternschaft“ und der „Elternschafts-„ oder „Kinderwunschvereinbarung“ soll die Absicherung von Kindern verbessert werden können.

[1] Mikrozensus 2015, Reihe 3 Haushalte und Familien, Familien und Familienmitglieder mit minderjährigen Kindern in der Familie nach Lebensform und Gebietsstand im Jahr 2015

 

 

 

[2] § 563 BGB sieht nach dem Tod des Mieters auch das Eintrittsrecht des überlebenden nichtehelichen Lebensgefährten in den Mietvertrag vor.

 

 

 

[3] Das Erbrecht hat in diesem Sinne auch eine Unterhaltsersatzfunktion. Dem tragen Pflichtteilsrecht und abgestufte Steuerfreibeträge Rechnung.

 

 

 

[4] Familienrechtliche Partnerschaftsverträge sind nicht zu verwechseln mit heute schon bestehenden Möglichkeiten notariell zivilrechtliche Vereinbarungen zu treffen.

 

 

 

[5] Eine Ehe kann im Recht unterschiedlich ausgestaltet werden, je nach dem, welchen Güterstand vorliegt. Die meisten Ehepaare leben ohne Ehevertrag automatisch in einer Zugewinngemeinschaft, dass heißt ihr Vermögen bleibt während der Ehe getrennt. Im Falle einer Scheidung findet ein Zugewinnausgleich statt, während der Ehe erwirtschaftetes Vermögen wird dann zwischen den Ehepartner*innen aufgeteilt. Vereinbaren Paare vorab die Gütertrennung, werden ihre jeweiligen Vermögen auch nach der Scheidung nicht verrechnet. Seltener gibt es auch die Gütergemeinschaft, in der das Vermögen der Ehepartner*innen zusammengelegt wird. Das zeigt, dass auch Ehe nicht einfach Ehe ist, sondern flexibel gestaltet werden kann. Es ist denkbar, Rechten und Pflichte für Paare, die jenseits von Ehe verbindlich zusammen leben möchten, nach einem ähnlichen „Baukastenprinzip“ zu gestalten.

 

 

 

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