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Klar, einfach und gerecht – Grüne Familienförderung aus einem Guss

Vom 11. bis 13. November 2016 findet in Münster die Bundesdelegiertenkonferenz statt. Dort werden wir über konkrete Konzepte für den sozialen Zusammenhalt und gegen die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland und einer globalisierten Welt abstimmen.

Für Geschlechtergerechtigkeit, für Familienvielfalt und gegen Kinderarmut – das ist mit der Familienförderung in Deutschland bisher nicht zu machen. Um unsere Ziele gemeinsam zu erreichen, sollten wir uns entscheiden, die Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Der Leitantrag des Bundesvorstandes enthält alle Module des Kombimodells.

Ineffizient und ungerecht – Schluss damit!

Ineffizient und ungerecht, so lautet das Fazit zur bestehenden Familienförderung in Deutschland. Jedes Jahr werden Milliarden ausgegeben, hauptsächlich um ein Familienbild aus den 50ern zu subventionieren: die Alleinverdienerehe des Mannes mit seiner Frau, egal ob sie Kinder haben oder nicht. Ungerecht ist das nicht nur für Frauen, deren eigenständige Existenzsicherung durch das Ehegattensplitting gebremst wird, sondern auch für unverheiratete Paare mit Kindern. Und vor allem für Alleinerziehende; wen wundert´s, die meisten sind Frauen.

Ineffizient ist die Familienförderung, weil die Kinder- und Familienarmut in Deutschland seit Jahren immer weiter wächst. Wir akzeptieren diesen Status quo nicht.

Wir müssen endlich das Drei-Klassen-System aus Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kinderregelsatz abschaffen, in dem der Fiskus Kinder aus wohlhabenden Familien am meisten fördert. Es ist Zeit, die Kinderförderung vom Einkommen der Eltern zu entkoppeln.

Unsere Kinder- und Familienpolitik muss sich an drei Prämissen messen lassen:

  • Gegen Kinderarmut: Wir stärken Kinder und ihre Familie und bauen Familienarmut ab.
  • Für Familienvielfalt: Wir fördern alle Familienformen gleich und stärken die Vielfalt der individuelle Entscheidung, wie die Bürger*innen leben möchten.
  • Für die Gleichberechtigung: Wir stärken Frauen auf dem Weg zur selbständigen Existenzsicherung.
  • Für die Entlastung von Familien: Wir entlasten Familien einkommensunabhängig und unbürokratisch.

Gerechtigkeit meint für uns Grüne auch immer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Frauen verdienen etwa 23 Prozent weniger als Männer. Damit ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Unser Steuersystem darf kein Hindernis mehr für die Geschlechtergerechtigkeit sein.

Zu viele Kinder leben mit ihren Familien in Armut – selbst wenn viele dieser Familien arbeiten. Viele Kinder zu haben oder alleinerziehend zu sein ist das größte Armutsrisiko in diesem Land.

Das Kombimodell für die Familienförderung

Anders als im letzten Bundestagswahlkampf sollten wir die Prämissen zusammendenken und unsere Instrumente darauf ausrichten. Seit unserer Gründung kämpfen wir für die Abschaffung des Ehegattensplittings. Wir streiten für Kinderrechte, frühe Bildung und gegen soziale Ungerechtigkeit. Ich bin überzeugt, es gibt den grünen Weg. Wir können unsere gesellschafts-, frauen- und familienpolitischen Ziele gemeinsam erreichen.

Deshalb schlage ich ein Kombimodell für die Familienförderung vor:

  • Neuehen werden individuell besteuert und bekommen gleichzeitig eine monatliche Kindergrundsicherung von 306,- Euro. Die neue Kindergrundsicherung gilt für alle Kinder, unabhängig von der Familienform und vom Einkommen der Eltern.
  • Bestehende Ehen haben die Wahl, ob sie ebenfalls auf Individualbesteuerung und Kindergrundsicherung wechseln wollen oder das Ehegattensplitting plus Kindergeld behalten.
  • Für die bestehenden Ehen schlage ich eine Günstigerprüfung durch das Finanzamt vor. Das bedeutet, das Finanzamt berechnet, welche Variante für die Familie die beste ist.

Ich plädiere für die Einführung der Kindergrundsicherung in der Kombination mit der Einführung der Individualbesteuerung. Denn es sind zwei Seiten einer Medaille. Von einer Kindergrundsicherung von 306,- Euro – das entspricht dem Kinderregelsatz nach SGB II für Teenager – profitieren Familien mit Kindern. Um alle Familien mitzunehmen, sollen bestehende Ehen entscheiden können, ob sie beim alten Recht bleiben oder in das bessere neue Recht wechseln. Da die meisten Familien von der neuen Regelung profitieren, zugleich aber keine Familie schlechter gestellt wird, wird es uns gelingen, die Menschen zu überzeugen. Zugleich kämen mit dieser Kindergrundsicherung fast 800.000 Kinder aus der Armut heraus.

Mit einer Wahloption ist auch klar, dass der Wechsel zur Individualbesteuerung verfassungsfest und administrativ leicht umsetzbar ist. So kann das verbleibende Ehegattensplitting auch über 10 bis 20 Jahre abgeschmolzen werden. Zentral ist das Zusammenwirken beider Schritte.

In der Kombination der beiden Instrumente Individualbesteuerung und Kindergrundsicherung liegt denn auch ein anderer Reiz, den wir im Blick behalten müssen: die Kosten. Durch das vorgeschlagene Kombimodell liegen die Kosten bei rund 8 Mrd. Euro – und damit unterhalb der Beträge, die gerade in CDU und SPD für Modelle geplant sind, wie das Familiensplitting, das sich zwar gut anhört, aber bestehende soziale Ungerechtigkeiten nur noch verschärft, oder diffuse Steuererleichterungen.

Unsere Ziele gemeinsam erreichen

Wir sind uns in der Bundestagsfraktion einig, den Gleichklang zwischen materieller und institutioneller Förderung herzustellen. Familien brauchen Geld und gute Bildungseinrichtungen gleichermaßen, um gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. Zu diesem Gleichklang gehört aber auch, allen Familien – auch der breiten Mittelschicht – dieses Angebot zu unterbreiten. Das ist eine der Lehren aus dem letzten Bundestagswahlkampf.

Wer den Systemwechsel weg vom ungerechten Ehegattensplitting und hin zur Kindergrundsicherung will, muss ihn so gestalten, dass er für die große Mehrheit der Familien attraktiv ist. Und genau das würde das Kombimodell in der Familienförderung leisten. Denn die Entlastung um rund 8 Mrd. Euro käme den Familien unmittelbar zugute.

Das Kombimodell ist klar: Jede Familie weiß, woran sie ist.

Das Kombimodell ist einfach: Jede Familie – und jede*r grüne*r Wahlkämpfer*in – versteht die Förderung.

Das Kombimodell ist gerecht: Weniger Kinderarmut, eine Förderung unabhängig von der Familienform und endlich mehr Geschlechtergerechtigkeit!

Autor: Lisa Paus

Lisa Paus ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied und Obfrau im Finanzausschuss, Sprecherin für Finanzpolitik sowie Leiterin der AG Finanzen der grünen Bundestagsfraktion.

10 Kommentare

  1. Das leuchtet ein!

    LIebe LIsa für jemand wie mich, der sich mit dem Thema nicht näher befasst hat, leuchtet Dein Modell sofort ein. Gibt es da noch KritikerInnen bei uns? Was wenden Sie gegen das Modell ein.

    Dirk Jordan

  2. Lieber Dirk,

    es gibt Stimmen, die sich auf die Reduzierung von Kinderarmut konzentrieren wollen – durch eine Reform des Kinderzuschlags und eine besondere Besserstellung von Alleinerziehenden. 

    Der Wegfall des Ehegattensplittings würde in diesem Fall dann den Wegfall familienpolitischer Leistung für die Mittelschicht bedeuten.

    Uns Grünen muss es aber gelingen, Entlastung für Familien und Geschlechtergerechtigkeit zu verbinden. Dann können wir überzeugen. Das Kombimodell ist leicht und verständlich. Und es bezieht alle Familien mit ein.

    Lisa Paus

  3. Liebe Lisa, liebe Leser!

    Folgendes kann so nicht stehen bleiben:

    "Da die meisten Familien von der neuen Regelung profitieren, zugleich aber keine Familie schlechter gestellt wird, wird es uns gelingen, die Menschen zu überzeugen. "

    Familien, die im heutigen System vom Kinderfreibetrag und/oder vom Splitting profitieren, in dem eine/r ein gutes Einkommen hat und die anderen Familienmitglieder mitversorgen kann, werden im neuen Modell schlechter gestellt.

    Für mich liest sich das Konzept so (drastisch überspitzt): Den Zukünftigen Familien (mit und ohne Kinder) mit einem Einkommen größer als X werden Steuerprivilegien gestrichen (Splitting, Freibetrag). Sie und nur sie erfahren also defakto eine Steuererhöhung … Wollen wir das wirklich ?

    Mit besten Grüßen, Stefan.

    • Lieber Stefan, 

      Deine "drastisch überspitzte" Darstellung ist die Lesart der anderen aus dem letzten Wahlkampf. 

      Korrekt ist: Alle bestehenden Ehen und Familien mit Kindern haben mit dem Kombimodell das Wahlrecht, ob sie wechseln wollen oder nicht. Die allermeisten werden dies tun, weil die Günstigerprüfung ja bestätigt, dass sie besser gestellt werden. Eine Schlechterstellung ist daher ausgeschlossen. Sobald diese bestehenden Ehen mit Kindern wechseln, erhalten sie mit der Kindergrundsicherung einen Auszahlbetrag, der selbst bei hohen Einkommen über den höchsten Freibeträgen liegt.

      Neu-Ehen werden individuell besteuert, das ist richtig – und für die Erreichung unserer frauen- und gleichstellungspolitischen Ziele notwendig. Damit endet die Ungleichbehandlung der Familienformen, die Benachteiligung von Frauen und insbesondere Alleinerziehenden. Das Kombimodell verlagert die Förderung auf die Kinder.

      Sobald mindestens ein Kind in egal welcher Familienform lebt, werden Familien bis etwa 75.000 Euro Einkommen im Jahr besser gestellt als bisher. Für alle darüber ist der Vorteil geringer.

      Wir stellen die Familienförderung vom Kopf auf die Füße. Der Staat darf nicht die Kinder der Reichsten stärker fördern und zugleich Kinderarmut in Deutschland hinnehmen. Aber statt Familien mit Kindern etwas wegnehmen zu wollen, wie Du es einschätzt, gilt für uns der Gleichheitsgrundsatz: Alle Kinder erhalten die gleiche Förderung und die kleinen und mittleren Einkommen profitieren davon mehr.

      Liebe Grüße

      Lisa

  4. Das Ziel, Familien und geringen Einkommen finanziell besser zu fördern, ist richtig.
    Aber das vorgeschlagene Modell enthält zwei Probleme:
    1) 306 Euro pro Kind und Monat bedeuten keine wirkliche Kindergrundsicherung. Schon heute können einkommensschwache Familien durch Kindergeld und Kinderzuschlag 350 Euro pro Kind und Monat erhalten.
    Sinnvoll wäre ein Ausbau des Kinderzuschlags. Dazu gehören vor allem ein Wahlrecht zwischen Alg2 und KiZu, die Abschaffung der beiden unsinnigen Mindesteinkommensgrenzen und die Änderung der für viele Familien völlig unverständlichen Art der Einkommensberechnung, vor allem bei schwankendem Einkommen. An diesen Hürden scheitern bisher etwa 80% der Anträge auf KiZu.
    2) Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist zwar gut gemeint, trifft aber die Falschen. Deutliche Realeinkommensverluste hätten dann Arbeitnehmerhaushalte, in denen – z.B. wegen fehlender Chancen am Arbeitsmarkt – ein Partner den weit überwiegenden Teil des Familieneinkommens erzielt. Diese Familien haben keine Ausweichmöglichkeiten. Selbständige sowie Bezieher von Mieteinnahmen und Kapitaleinkünften können dagegen durch Übertragung von Teilen des Einkommens auf den sonst wenig verdienenden Partner oder durch Ehegattenarbeitsverträge die Abschaffung des Ehegattensplittings zum großen Teil umgehen. Sie lassen sich dann getrennt besteuern. Sobald es gelingt, dass einer der Partner mindestens etwa 25% des gemeinsamen Einkommens erzielt, wird der sog. Splittingvorteil auf etwa ein Zehntel reduziert.
    Beispiel: Bei 5.600 Euro Monatsbrutto fallen im Grundtarif 1.235 Euro Lohnsteuer an, im Splittingtarif 790 Euro, also 445 Euro weniger. Bei 4.200 Euro für den einen und 1.400 Euro für den anderen Partner zahlen beide zusammen 840 Euro LSt, also nur 50 Euro mehr als im Splittingtarif und 395 Euro weniger als im Grundtarif.
    Besser wäre es, den Spitzensteuersatz wieder anzuheben, von 42% bzw. 45% auf z.B. 49%. Früher lag er bei 56%! Und in Panama und anderen Steueroasen schlummert noch ganz viel Potential!

    • In der 1. Zeile muss es selbstverständlich heißen "Das Ziel, Familien mit geringen Einkommen …"

    • Lieber Reinhard, im.ersten Punkt Stimme ich Dir zu. 306 Euro bedeuten, dass weiterhin der Kinderzuschlag plus Unterhaltsvorschuss beantragt werden müssen – das funktioniert heute schon nicht und ist hoch bürokratisch. Auch Dein 2. Punkt ist ein Treffer. Auf den zweiten Blick ist die Abschaffung des Ehegattensplittings gerade für viele einkommensschwache Haushalte trotz Kindergrundsicherung bestenfalls ein Nullsummenspiel. Gut verdienende Haushalte können dagegen in vielen Fällen direkt profitieren. Es macht daher Sinn die Alternative von Franziska näher zu betrachten:

      Kindergrundsicherung ohne Zwangskoppelung an das Ehegattensplittings.

      Eine Höhe von 384 Euro, die für besser verdienende Haushalte allmählich auf minimal die Höhe des Kindergeld abschmiert. Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss werden damiüberflüssig.Und die verdeckte Armut wird effektiv bekämpft.

      Viele Grüße Thomas Poreski 

  5. Lieber Reinhard, lieber Thomas,

     

    ich halte Eure Ausführungen für irreführend und versuche es einmal mit drei Beispielen. Wenn Ihr tatsächlich an der Abschaffung des Ehegattensplittings mit solchen Argumenten rütteln wollt, ist Euch das unbenommen. Doch dann muss es auch klargestellt werden. Eine „Zwangskoppelung an das Ehegattensplitting“, lieber Thomas, hat gerade den Charme, dass die Familien, denen durch die Abschaffung des Ehegattensplittings finanziell "etwas weggenommen" wird, eine Kompensation für ihre Kinder erhalten.
    Die Individualbesteuerung dient genau dem Ziel, das wir Grünen seit langem verfolgen: Eine Familienförderung, die vom Kind her denkt, nicht vom Rechtsstand der Eltern.​

     

    Das Argument, von der Abschaffung des Ehegattensplittings seien gerade kleine Einkommen betroffen, ist schlicht falsch. Sie zahlen gar keine Steuern, um vom Splittingvorteil zu profitieren.

     

    Zuerst aber:

    Selbstverständlich enthält das Kombimodell Verbesserungen beim Kinderzuschlag, dessen Gesamthöhe bleibt. Das ist längst überfällig.

    Die Höchsteinkommensgrenze wird abgeschafft.

    Die Bedingung, dass durch den Kinderzuschlag die Hilfebedürftigkeit im Sinne des Arbeitslosengelds II vermieden werden muss, wird abgeschafft.

    Der Kinderzuschlag wird automatisch durch das Finanzamt ausgezahlt und nicht mehr auf Antrag an die Familienkasse gewährt.

     

    Dann also drei klassische Beispiele im Vergleich Ist-Stand zu Kombimodell aus Individualbesteuerung und Kindergrundsicherung:

    Jeweils Eure Alleinverdienerehe (also diejenige mit dem individuell höchsten Splittingsvorteil) mit zwei Kindern:

     

    20.000 Euro Jahreseinkommen (in Brutto)

    – jetzt: zahlt monatlich keine Steuern und erhält 380 Euro Kindergeld

    – Kombimodell: zahlt monatlich keine Steuern und erhält 612 Euro Kindergrundsicherung

    – Besserstellung um 232 Euro monatlich.

     

    40.000 Euro Jahreseinkommen (in Brutto)

    – jetzt: zahlt monatlich 274 Euro Steuern und erhält 380 Euro Kindergeld

    – Kombimodell: zahlt monatlich 335 Euro Steuern und erhält 612 Euro Kindergrundsicherung

    – Besserstellung um 171 Euro monatlich

     

    60.000 Euro Jahreseinkommen (Brutto)

    – jetzt: zahlt monatlich 704 Euro Steuern und erhält 380 Euro Kindergeld

    – Kombimodell: zahlt monatlich 852 Euro Steuern und erhält 612 Euro Kindergrundsicherung

    – Besserstellung um 84 Euro monatlic

     

    Und dann, lieber Thomas, kannst Du gerne die Variante 2 (reformierter Kinderzuschlag) daneben stellen – sowohl ab den mittleren Einkommen aufwärts, als auch bei den Familien ohne Einkommen.

    • Liebe Lisa,

      Du nennst in Deiner Antwort drei wesentliche Veränderungen für den Kinderzuschlag. Die klingen sehr positiv. In Deinem Ursprungsbeitrag habe ich allerdings dazu nichts gelesen, sonst wäre ich darauf eingegangen.

      Bevor ich Dir inhaltlich insgesamt antworte, würde ich gerne das ganze Kombimodell im Zusammenhang lesen, vor allem wegen der Regelungen zum Kinderzuschlag. Steht das irgendwo?

      Viele Grüße
      Reinhard

  6. Wie schade, dass die Diskussion hier endet! Ich hatte gerade das Gefühl, das Thema wirklich nachvollziehen zu können …

    Viele Grüße

    Konny Küpper