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Back to the roots? – Vegetarismus und die Grünen

Grüne Umerziehung“ und „Ökodiktatur“ – mit diesen Worten belegten liberale und konservative Politiker*innen den Vorstoß der GRÜNEN für einen „Veggie-Day“ im Jahr 2013.[2] Ernährung sei eine Privatsache und müsse dies auch bleiben. Doch gab es auch damals schon gute Gründe für die kleine Veränderung des Lebensstils, die ein vegetarischer Wochentag bedeutet: Die Produktion von Fleisch birgt beispielsweise erhebliche Risiken für die Umwelt. Auf regionaler Ebene durch die Belastung von Böden und des Grundwassers. Auf globaler Ebene durch die Emission von Treibhausgasen, wie Methan. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit, denn die Fleischeslust der Konsument*innen hat auch ökonomische, gesundheitliche und nicht zuletzt ethisch-moralische Folgen für Mensch und Tier.
Noch heute – drei Jahre nach der „Veggie-Day“-Debatte – scheint das Verhältnis zwischen vegetarischen Ideen und grüner Politik beeinträchtigt zu sein. Im grünen Wahlprogramm zu der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sucht man den Vegetarismus vergeblich, obwohl die Problematik der industriellen Tierhaltung angesprochen wird. Doch lassen sich diese Problematiken trennen? Müssen sie vielleicht sogar getrennt werden? Hierzu muss ein genauer Blick auf die Inhalte des Vegetarismus und die Überschneidungen mit grüner Politik geworfen werden.

Warum Veggie?

Die Motive für eine vegetarische Ernährung sind vielfältig. Die Nutztierhaltung führt zu bereits angesprochenen ökologischen Auswirkungen, wie Bodenerosion oder die Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser und ist weiterhin für einen wesentlichen Teil von Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auch ökonomische Faktoren sind jedoch einzubeziehen, denn nicht nur die Ressourcenverwertung in der Fleischproduktion ist „unter aller Sau“ (durchschnittlich sind ca. 4,5kg Futtermittel notwendig um 1kg Schweinefleisch zu produzieren)[3], sondern ungleiche Welthandelsstrukturen verdrängen kleinbäuerliche Strukturen dort wo sie eigentlich am wichtigsten sind – im globalen Süden.[4] Auch die gesundheitlichen Aspekte eines übermäßigen Fleischkonsums lassen sich mittlerweile nur noch schwer als Privatsache bezeichnen. So erhöhen vegetarische Lebensstile nicht nur die Lebensqualität, sondern ermöglichen massive Einsparungen in den Gesundheitssystemen – zwischen 1 und 31 Billionen US-Dollar weltweit bis 2050.[5] Der wichtigste Beweggrund für eine vegetarische Ernährung bleibt jedoch die ethisch-moralische Komponente. Für ein durchschnittliches omnivores Leben einer deutschen Person müssen 635–715 Tiere sterben.[6] Tiere die in überfüllten Mastanlagen unter schlechtesten Bedingungen leben um später getötet zu werden, obwohl sie wie Menschen Freude und Leid empfinden können.

Die Zeit ist reif

Anhand dieser Faktoren ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl an Vegetarier*innen steigt und der Fleischkonsum in Deutschland (wenn auch gering) abnimmt.[7] Die Produktion von tierischen Produkten stieg in Deutschland zuletzt jedoch noch an. Schwellenländer wie China und Indien entdecken – ganz nach europäischem Vorbild – ihren Hunger auf tierische Produkte und importieren daher Fleisch, Milch und Ei aus der EU. Eine paradoxe Entwicklung vollzieht sich demnach in Deutschland. Der Konsum nimmt ab, die Produktion steigt an. Hier entsteht eine politische Aufgabe, die beinhaltet kritische Konsument*innen aufzufangen und zu unterstützen. Hier entsteht ein Handlungspotenzial für uns GRÜNE.
Eine politische Artikulation vegetarischer Ideen und Inhalte findet derzeit jedoch nicht statt. Obwohl die Schnittmengen mit den GRÜNEN mit einem Blick in das Grundsatzprogramm schnell ausgemacht werden können. Ökologische Aspekte einer vegetarischen Ernährung lassen sich unter dem Kapitel „Ökologie und Lebensstil“[8] und den vorhergehenden Kapiteln über Nachhaltigkeit wiederfinden. Die Ressourcen(in)effizienz der Produktion tierischer Nahrungsmittel sollte im Rahmen der propagierten „Effizienzrevolution“[9] ebenfalls einbezogen werden. Ähnlich verhält sich dies mit dem „Aufbau solidarischer Handels-Netzwerke“[10] auf globaler Ebene. Und wenn nachhaltige Gesundheitspolitik eine „gesundheitsfördernde Gesamtpolitik“[11] braucht – dann sollte dies auch für Ernährungsgewohnheiten gelten. Auch aus ethisch-moralischer Perspektive gibt es Überschneidungen: Denn wer sagt, „dass Tiere Rechte haben“[12], der muss auch so handeln.

What is it good for?

Manch grüne*r Leser*in wird sich nun wohl aus strategischen Gründen an den Kopf fassen. Das „Veggie-Day“-Debakel ist noch nicht verdaut und schon wird es wieder hochgekocht. Doch gerade als links-grüner Flügel ist uns bewusst, dass eine Partei ein klares Profil braucht. Ein Profil, das nicht immer allen schmeckt, doch trotzdem notwendig ist: denn „[e]ine Haltung, die nicht mehr sagt, was sie will, stellt sicher, dass Grüne nicht regieren werden – sondern geschwächt in der Opposition landen.“[13] Eine veggie-freundliche Politik ist also nicht nur inhaltlich richtig, sondern hilft als Alleinstellungsmerkmal den GRÜNEN bei der Konstruktion klarer politischer Vorstellungen. Die politische Unterstützung für Vegetarier*innen ist dabei ein weiterer Mechanismus, der zeigt, dass Konsument*innen von den GRÜNEN nicht alleine gelassen werden und das die Impulse aus dem Privaten auch im Öffentlichen ankommen. Eine Verankerung des Vegetarismus in das politische Programm der GRÜNEN kann dabei auch ohne Bevormundung auskommen, indem die politischen Angebote sich direkter an Vegetarier*innen richten und somit diesen Lebensstil auch politisch attraktiver machen.            
Wer es also ernst meint mit Ökologie, nachhaltiger Ökonomie, Gesundheit und Moral, der/die ist nicht nur grün, sondern auch vegetarisch.

 

 

 


[1] Aus Gründen der Leserlichkeit wird „Vegetarismus“ als Sammelbegriff für alle non-omnivoren Ernährungsweisen verwendet.

 

 

[2] Janssen, Hauke (2013). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/veggie-day-gruene-regen-fleischverzicht-an-a-915657.html

 

 

[3] Gold, Mark (2004). https://www.ciwf.org.uk/media/3817742/global-benefits-of-eating-less-meat.pdf, S. 23

 

 

[4] Reichert, Tobias (2014). https://www.boell.de/sites/default/files/fleischatlas2014_vi.pdf, S. 46f.

 

 

[5] Springmann, Marco et al. (2016). http://www.pnas.org/content/113/15/4146.full

 

 

[6] Bartz, Dietmar (2014) https://www.boell.de/sites/default/files/fleischatlas2014-extra.pdf, S. 18f.

 

 

[7] BVDF (o.J.) http://www.bvdf.de/in_zahlen/tab_05

 

 

[8] GRÜNE (2002) http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Grundsatzprogramm-2002.pdf, S. 29

 

 

[9] Ebd.

 

 

[10] Ebd., S. 59

 

 

[11] Ebd., S. 81

 

 

[12] Ebd., S. 40

 

 

[13] Trittin, Jürgen (2016). http://www.gruen-links-denken.de/2016/macht-macht-inhalte/#more-2241

 

 

3 Kommentare

  1. Sehr insightvoller Artikel. Kann man mit gutem Gewissen weiterempfehlen. 
     

  2. Der Artikel geht, meiner Meinung nach, am Thema vorbei. Vegetarisch hilft nicht wenn das auch Milchprodukte usw. einschliesst. Milchprodukte kurbeln die Tierproduktion an. Also wenn man das nicht möchte, dann muss es vegan sein. Ich plädiere lieber für einen oder zwei Veggiedays. Wie auch immer. Der Fleischkonsum sollte reduziert werden. Der Fokus muss, meiner Meinung nach,  auf einer artgerechten reduzierten Tierhaltung ohne Futterimport liegen.

    • Vegetarismus habe ich in dem Artikel als Sammelbegriff verwendet. Sicherlich ist ein veganer Lebensstil aus Sicht der individuellen Begründungen für ein Verzicht auf tierische Produkte konsequenter – Insbesondere aus ethisch-moralischer Sicht.  Der Weg zum Veganismus muss aber auch immer in Etappen gedacht werden – Ich selber war 4 Jahre Vegetarier, bevor ich mich entschied vegan zu leben. Allein eine Sensibilität für dieses Thema aufzubauen, halte ich daher für extrem wichtig. Man muss es politisch artikulieren, diskutieren etc. und da sind die Grünen mit Aufklärung besser beraten als mit einem Veggie-Day 2.0. Den Fleischkonsum durch Bewusstsseinswandel zu reduzieren braucht aber natürlich auch Zeit – wahrscheinlich zu viel Zeit. Es wäre daher wichtig einen Weg zur "artgerechten Tierhaltung" (eigentlich ein Oxymoron) oder eben möglichst ganz weg von der Tierhaltung politisch zu begleiten. Ob durch "Bestrafung" (Fleischsteuer o.Ä.) oder "Belohnung" (bspw. Unterstützung veganer Lebensstile durch durchgehende Kennzeichnung) kann man ja dann diskutieren.