Grün.Links.Denken

Mehr Mut zu Visionen – Ressourcenschonung vs. Obsoleszenz

Siebeneinhalb Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde, und im Jahr 2100 sollen es zwischen 9,6 und 12,3 Milliarden sein. Der Kampf um Ressourcen wie Öl, Wasser, Metalle und Brot hat schon lange begonnen. Der Klimawandel wird Millionen von Menschen in eine ausweglose Lage bringen und Ursache von Flucht und Krieg sein. Hauptverursacher für die globalen Umweltveränderungen sind die Industriestaaten. Mit den knappen Ressourcen muss verantwortungsvoller umgegangen und der Ausstoß von Treibhausgasen massiv reduziert werden. 

So weit, so richtig! Aber wie wollen wir das erreichen? Haben wir Bündnisgrüne ein hinreichendes Konzept, also eine Antwort auf die Frage, wie wir die auf uns zukommende Katastrophe abwenden können? Und beantwortet dieses Konzept auch die Frage, wie wir dafür eine Mehrheit in unserer Gesellschaft erringen werden?

Ein solcher Plan wird aus vielen Bausteinen bestehen. Wie ein Puzzle müssen alle Bausteine aneinandergefügt werden bis daraus ein kohärentes Bild entsteht. Die Bündnisgrünen arbeiten an vielen dieser Bausteine sehr intensiv – wie zum Beispiel dem Recycling – ein wichtiger Baustein ist jedoch im Bewusstsein der Bündnisgrünen MitgliederInnen noch nicht angekommen, und das sind Maßnahmen gegen die sog. „geplante Obsoleszenz“.

Den politischen Entscheidungen geht immer ein Prozess der Meinungsbildung in unserer Gesellschaft voraus. Den Parteien kommt dabei die Aufgabe zu, politische Vorstellungen zu Konzepten und Programmen zu bündeln und die Ansichten der BürgerInnen so zu beeinflussen, dass diese Konzepte mehrheitsfähig werden. Doch diesem Prozess ist die Meinungsbildung in unserer eigenen Partei vorgelagert. Den gesellschaftlichen Diskurs und Disput können wir nur dann für uns entscheiden, wenn die Vorstellungen in den Köpfen und Herzen der überwiegenden Mehrzahl unserer ParteifreundInnen verankert sind.   

Ziel dieses Beitrages ist es, die Diskussion und das Bewusstsein zur Eindämmung der Ressourcenverschwendung durch geplante Obsoleszenz im Bündnisgrünen Umfeld zu befördern.

Was versteht man unter „geplanter Obsoleszenz“?

Die willkürliche Lebensdauerbegrenzung von Produkten ist keine neue Idee. Auch die im Rahmen eines Konjunkturpakets im Jahre 2009 eingeführte sogenannte Abwrackprämie ging von der Intention her in diese Richtung. Es gibt jedoch subtilere Mittel um Produktionskreisläufe in Schwung zu halten, etwa indem bei der Entwicklung eines neuen Produkts bereits Schwachstellen vorsätzlich eingebaut werden. Für die Strategie der künstlichen Veralterung von Produkten hat sich der Begriff der „geplanten Obsoleszenz“ durchgesetzt.

Schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann General Motors damit, jährlich Veränderungen bei Automobilen einzuführen – und wenn es nur im Design war – um Kaufanreize zu schaffen auch für diejenigen, deren altes Auto noch funktionstüchtig war. Zur gleichen Zeit verständigten sich die führenden Herstellern von Glühbirnen auf eine tückischere Form der geplanten Obsoleszenz, die dem Kunden verborgen blieb: Die Lebensdauer von Produkten wurde auf 1000 Stunden begrenzt. Fast unbegrenzte Möglichkeiten erschließen sich den Herstellern von programmierbaren Geräten: Verborgene Programmodule können das Gerät außer Betrieb setzen, wenn vom Hersteller definierte Nutzungsdauern erreicht werden. Eine weitere tückische Form der geplanten Obsoleszenz ist die Verwendung von ungeeigneten elektronischen Bauteilen oder deren unsachgemäße Anordnung auf einer Leiterplatte.

Was kann man gegen willkürliche Lebensdauerbegrenzungen unternehmen?

Langfristiges Ziel muss sein, eine (zumindest) europäische Richtlinie für ein obligatorisches Zulassungsverfahren als verbindlich für alle Hersteller zu etablieren. Vorbild dafür könnte die Europäische EMV-Richtlinie sein, die die Elektromagnetische Verträglichkeit definiert und gemeinsam mit den EMV-Normen die Voraussetzungen festlegt, die von Herstellern eingehalten werden müssen! Auf Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse müssen Richtlinien erarbeitet und in Normen umgesetzt werden.

In einer Übergangsphase könnte mit einem Gütesiegel dem Verbraucher Hinweise über die Beschaffenheit des Produktes im Hinblick auf zu vermeidende Schwachstellen gegeben werden, um sein Kaufverhalten positiv zu beeinflussen. Mit diesem Gütesiegel wird dokumentiert, dass auch ethische Fragestellungen bezogen auf die Produktlebensdauer in die Entwicklung und Fertigung eines Produktes eingegangen sind. Es stellt als Werbeinstrumentarium die Dokumentation nach außen dar, so dass über den Markt Druck auf Hersteller ausgeübt wird, Produkte anzubieten, die dem Gütesiegel entsprechen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass im Bereich der vorzeitigen Alterung von Produkten belastbare wissenschaftliche Daten systematisch ermittelt und gesammelt werden. Forschung, die sich dem interdisziplinären Ansatz zur gemeinsamen Weiterentwicklung wichtiger Fragen und Herausforderungen eines Produkt-Lebenszyklus widmen, wird notwendig. Als heute schon bekannte Schlagworte für „gelebte“ Obsoleszenz seien hier erwähnt: unterdimensionierte Bauteile; verklebte Bauteile die nicht ausgetauscht werden können; Verwendung besonders hitzeempfindlicher Bauteile in unmittelbarer Nähe von Hitzequellen; Beschleunigung des Alterungsprozesses von Kondensatoren, die bewusst im Heißluftstrom der Prozessorkühlung angebracht werden; usw…

Ist die Bedeutung von „geplanter Obsoleszenz“ in den Köpfen der bündnisgrünen ParteifreundInnen verankert?

Nein! Obsoleszenz ist ein Beispiel dafür, wie das Bewusstsein einiger Parteihierarchen und das Bewusstsein an der „Basis“ auseinander driften können. Jeder kann sich davon überzeugen, indem er in seinem Umfeld die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Obsoleszenz“ stellt.  Nur wenige Antworten werden befriedigend sein. Auch unter unseren Funktionsträgern ist der Begriff weitestgehend unbekannt. Der Grund dafür, dass Obsoleszenz ein Nicht-Thema in unserer Partei ist, liegt nicht an einem Schweigegelübde! Er muss andere Ursachen haben, die zu eruieren lohnenswert wären.

Erfreulicherweise wurde das Thema schon von einigen Parteihierarchen aufgegriffen: Unsere Bundestagsfraktion hat bereits im März 2013 das erste Gutachten zu diesem Thema unter dem Titel „Gebraucht, gekauft, kaputt – vom viel zu kurzen Leben vieler Produkte“ vorgestellt und einen Antrag im Bundestag dazu eingebracht. Aufgrund dieses Gutachtens hat das Umweltbundesamt dann noch im gleichen Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, die im größeren Maßstab Daten zu diesem Thema liefern soll. Unter Leitung des Grünen Christian Meyer (Minister für Verbraucherschutz des Landes Niedersachsen) wurde am 8. Mai 2015 ein positiver Beschluss der Verbraucherministerkonferenz erreicht und im Rahmen des Elektro-Gesetzes hat Peter Meiwald (Sprecher für Umweltpolitik der Bündnisgrünen Bundestagsfraktion) vor der Sommerpause einen Entschließungsantrag hinsichtlich von Regelungen zur Obsoleszenz im Bundestag eingebracht. Die schwarz-rote Bundesregierung unternimmt jedoch in dieser Hinsicht nichts!

Aber ein so bedeutsames Thema wie die Obsoleszenz muss auch an der Bündnisgrünen „Basis“ diskutiert werden und dort im Bewusstsein verankert sein. Dies ist derzeit nicht der Fall – auch nicht bei unseren Funktionsträgern. Wir müssen das Thema in Wahlkämpfen offensiv angehen, auch wenn es Risiken birgt.  

Zum Beispiel das Risiko, dieses Thema den Wählern nicht vermitteln zu können. Die geplante Obsoleszenz konsequent zu verhindern würde zwangsläufig zu einer Entschleunigung des Wirtschaftskreislaufs und somit zu einem „Negativ-Wachstum“ führen. In unserem Wirtschaftssystem würde dies zu einer Rezession und zu Massenarbeitslosigkeit führen. Ohne einen vorausschauenden Reformprozess wären wir dann mit großen sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen in unserer Gesellschaft konfrontiert. Dennoch darf eine visionäre Politik bei einem solch grundsätzlichen Thema den Ball nicht flach halten, sondern muss vorausschauend (volkswirtschaftliche) Konzepte erarbeiten, wie diese Auswirkungen zu verhindern sind.

Erfolgreich kann die Obsoleszenz auch nur bekämpft werden, wenn ein großer Wirtschaftsraum dies gegen global agierende Unternehmen erzwingt. Es muss Teil einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik sein.
Wir reden hier über ein Generationenprojekt! Doch welche Partei hat mit dem Kampf für die Umsetzung von Visionen mehr Erfahrung als die Bündnisgrünen? Wenn wir nicht wollen, dass uns die WählerInnen bei diesem Thema davon laufen, müssen überzeugende (volkswirtschaftliche) Konzepte auch in einem ebenso professionellen Kommunikationskonzept ihren Niederschlag finden. Denn ohne demokratische Mehrheiten wird auch diese Vision nicht Realität werden.

Autor: Herbert Nebel

Herbert Nebel ist Mitglied von Bündnis 90 / Die Grünen im Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf und u.a. aktiv in den LAGs Wirtschaft & Finanzen sowie Säkulare Grüne Berlin. Darüber hinaus ist er Schatzmeister der Internationalen Liga für Menschenrechte und engagiertes Mitglied der Initiative Respekt für Griechenland.

Kommentare sind geschlossen.