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Wachstumskritik im Europawahlprogramm

Die Debatte um Wirtschaftswachstum ist in der Grünen Partei beheimatet. Nirgendwo sonst wurde so früh und so ausgiebig über die ökologischen und sozialen Folgen einer auf ständigem Wachstum basierenden Wirtschaftsweise gestritten. Die starke Verankerung des Themas innerhalb unserer Partei zeigte sich nicht zuletzt im dezidiert wachstumskritischen Wahlprogramm zur Bundestagswahl und dem überraschenden Erfolg des Schlüsselprojekts bei der Mitgliederbefragung. Grund genug, die Entwicklung wachstumskritischer Positionen im Wahlprogramm zur Europawahl kritisch zu beleuchten.

Wohlstand neu definieren!

Zunächst ist Wachstum immer eine Frage der Messung. Wir Grüne sahen eine Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes (BIP), wie sie unter Anderem Niko Paech propagiert, nie als Selbstzweck oder etwas notwendigerweise unterstützenswertes an. Stattdessen war für uns immer klar, dass eine Transformation unseres Wirtschaftens neben ökonomischen vor allem soziale und ökologische Aspekte beinhalten muss. Wir wenden uns vom BIP als Wohlstandsindikator ab, weil es die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Politiken vernachlässigt.[i] Die Forderung, in Zusammenarbeit mit der europäischen Statistikagentur einen neuen, ganzheitlichen Wohlstandsindikator zu entwickeln, ist vor diesem Hintergrund konsequent und ausdrücklich zu begrüßen. Allerdings verstehe ich nicht, warum wir im Programm darauf verzichten sollten, unser im Bundestag ausgearbeitetes Modell für einen neuen Wohlstandsindikator – den Grünen Wohlstandskompass[ii] – als Anfangspunkt für die Diskussion zu nennen. Hier verschenken wir das Potential, unsere Vorstellung von Wohlstand konkret und nachvollziehbar anzusprechen. Ich hoffe daher, diesen Verweis im endgültigen Wahlprogramm etablieren zu können.

Weiter auf Umverteilung setzen!

Wichtiger als die Wachstumsmessung sind die politischen Forderungen, die sich aus der Ablehnung der Wachstumswirtschaft ableiten. Der beste Indikator bringt nichts, wenn der Rebound-Effekt (die Überkompensierung von Effizienzgewinnen durch Mehrkonsum) und andere Wachstumstreiber ökologische Politik weiterhin konterkarieren. Ich sehe Umverteilung weiterhin als kurzfristig wichtigste Forderung zur Reduktion von Wachstumszwängen[iii] an. Nach der verlorenen Bundestagswahl ist die Zurückhaltung bezüglich progressiver Umverteilungsideen jedoch keine Überraschung. Wir sprechen im Programm oft davon, dass die Staatsschulden der Krisenländer sozial verträglich abgebaut werden sollen und auch unsere Forderung nach einer Vermögensabgabe auf nationaler Ebene hat als Positivbeispiel Eingang in den Programmentwurf gefunden. All dies bewerte ich aus grün-linker Sicht positiv.

Allerdings lassen wir der an dieser Stelle gelungenen Analyse keine mutigen Konzepte folgen. So wäre zum Beispiel eine europaweite Vermögensabgabe zur Tilgung von Altschulden die einzig logische Konsequenz aus der positiven Bewertung nationaler Vermögensabgaben. Auch die europäische Arbeitslosenmindestversicherung[iv], welche Konjunkturschwankungen innerhalb der Währungsunion dämpfen und so vor starken Rezessionen schützen könnte, deutet der Text lediglich verklausuliert an.

Hier wünsche ich uns deutlich mehr Mut. Ein Problem, an welchem wir im Bundestagswahlkampf scheiterten, war die fehlende Unterscheidbarkeit zur Austeritätsdoktrin der Bundesregierung. Wenn wir ihre sozial verheerende Politik auch in diesem Wahlkampf zu zaghaft kritisieren, überlassen wir konservativen oder sogar rechtspopulistischen Kräften die Deutungshoheit über Europa. Unser Anspruch als pro-europäische Partei sollte ein anderer sein.[v]

Wege aus der Wegwerfgesellschaft aufzeigen!

Den geplanten Verschleiß von Produkten zur Profitsteigerung sprechen wir im Wahlprogramm an. Dies ist zunächst positiv, weil das Thema sonst von keiner anderen deutschen Partei aufgegriffen wird und wir uns in der Vergangenheit zum Beispiel mit einem Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion[vi] profiliert haben. Jedoch hätte ich mir einen prominenteren Stellenwert der Problematik erhofft. Wir handeln sie momentan in drei Zeilen ab.

Als Ergänzung zum jetzigen Text ist vor allem die Erwähnung von psychosozialen Faktoren der Materialverschwendung wünschenswert. Damit meine ich den sozialen Druck, immer die neuesten Produkte zu kaufen, obwohl die "alten" Varianten noch voll funktionstüchtig sind. Konsum dient also häufig nicht mehr der Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern der Zementierung des sozialen Status. Das ist ökologisch ineffizient und verursacht psychologischen Stress. Ich hoffe, diesen wichtigen Aspekt im endgültigen Programmentwurf wiederzufinden.

Fazit

Aller eben geäußerter Kritik zum Trotz bin ich optimistisch, dass das endgültige Programm wachstumskritischen Positionen ihren Raum einräumen wird. Auch beim Bundestagswahlprogramm wurden zu diesem Themenkomplex viele Änderungsanträge übernommen. Das können wir auch dieses Mal wieder schaffen und unser Thema so in der öffentlichen Wahrnehmung halten.

 


[i]Eine genauere Kritik am BIP und mögliche Alternativen habe ich in diesem Vortrag dargestellt http://www.youtube.com/watch?v=lG_uuUglsZs&list=PLLLeNOkRMfWVIP7tiMGcCG551aCcdJMVz&index=1

[iv]Das Konzept und seine Folgen werden in dieser Studie erklärt: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.410738.de/12-44-2.pdf

[v]Eine ausführlichere Argumentation dazu haben Theresa Kalmer, Felix Banaszak und Terry Reintke geschrieben: http://www.gruene-jugend.de/node/26711

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