Es ist Zeit, dass sich was dreht! Dieter Janecek und Gerhard Schick werben dafür, die doppelte Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zum zentralen Projekt gemeinsamer Diskussionen und neuer Denkanstöße zu etablieren. Technologische und soziale Innovationen müssen konsequent zusammen gedacht werden. Beide plädieren für eine neue Wohlstandspolitik auf der Basis eines fairen Markte, die unsere Art des Wirtschaftens innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen unserer Erde organisiere.
Es ist Zeit, dass sich was dreht! Die heutige Art zu wirtschaften, ist nicht zukunftsfähig – weder ökologisch noch sozial. Die Marktwirtschaft droht zur Machtwirtschaft zu degenerieren. Der Wohlstand ist so ungleich verteilt, dass dies der Stabilität der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes Schaden zufügt und wir sind trotz aller Erfolge bei der Energiewende nach wie vor dabei, unseren Planeten ökologisch zu Grunde zu richten. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit rasanten Wandels hinein ins digitale Zeitalter.
Es ist Zeit für tiefgreifende Veränderungen, was wir brauchen ist eine doppelte Entkopplung vom Wirtschaftswachstum, die zu einer absoluten Reduktion unseres gegenwärtigen Umweltverbrauchs führt. Dazu braucht es erstens technologische Innovationen und zweitens eine gesteigerte Lebensqualität, die sich frei macht vom Zwang wachsen zu müssen. Nie hatten wir so viel Wissen, nie waren wir weltweit so gut vernetzt, nie hatten wir so viele Chancen: Auf die zweifellos gewaltigen sozialen und ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, reagieren wir nicht mit Resignation, sondern mit Tatkraft, um eine bessere Zukunft zu gestalten.
Um die vielen kleinen und großen Schritte der Transformation von Gesellschaft, Ökonomie, Politik und Kultur zu gehen, hilft es zu wissen, wo man hin will. Wo also wollen wir hin? Wir brauchen eine Zukunft, die uns lebens- und erstrebenswert erscheint und für die es Sinn macht, sich einzusetzen und zu kämpfen. Wir sind davon überzeugt: Eine andere Welt ist möglich! Wie sähe diese „Andere Welt“ aus?
Wir haben die Vision einer Welt, in der die Wirtschaft auf fairem Wettbewerb basiert. In der unsere Wirtschaft erfolgreich ist, weil es darum geht echten Wohlstand zu schaffen, für die Menschen und im Einklang mit der Natur. Dafür müssen wir die Wachstumsideologie überwinden. Eine Welt, in der sich ein neues Denken durchgesetzt hat: Es ist kein Wert an sich, wenn Finanzkapital wächst. Wir müssen zurück zum so genannten „boring banking“. Eine Welt, in der gleichermaßen Zeit für alle Bereiche menschlichen Lebens bleibt: Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Zeit für persönliche Dinge und gesellschaftliches Engagement. Wir brauchen eine neue Idee der künftigen Arbeitsgesellschaft. Eine Welt, in der sich neue soziale Räume öffnen, weil Infrastruktur und Daseinsvorsorge neu aufgestellt sind und Bildung nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Eine Welt, in der gute Lebensmittel zur Selbstverständlichkeit für alle geworden sind und wir eine Renaissance politischer Beteiligung, kritischer Zivilgesellschaft und Wissenschaft erleben.
Wir glauben an einen Grundsatz, dem wir Grüne wieder stärker folgen sollten: Radikalität in der Analyse, Pragmatismus im Handeln. Darum ist klar: Wir brauchen auch konkrete Schritte, die uns der „Anderen Welt“ näher bringen. Einige davon haben wir formuliert. Vor allem soll dieses Papier aber eine Einladung sein, die Vision der „Anderen Welt“ und die Schritte auf dem Weg dorthin zusammen zu diskutieren.
Die Langfassung des Beitrages findest du unter: http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/20141007_Aufbruch_in_die_Gruene_Oekonomie.pdf
13. Oktober 2014 um 13:09
Hallo GLDlerInnen,
völlig einverstanden mit dem Ansatz. Wer in Deuschland und hier bei uns noch nicht ausreichend gewürdigt wird, ist Prof. Michael Braungart aus Hamburg. Er hat 2010 das Buch Cradle to Cradle publiziert. Der Spiegel hat ebenfalls vor ein paar Wochen über ihn berichtet. Sein Ansitz ist alle Dinge so zu produzieren, dass sie sich letztlich recyceln lassen. Er führt in seinem Buch vor, dass dies grundsätzlich realisierbar ist.
Dies wäre zumindest ein wichter Ansatz zur geforderten Entkoppelung von Wachstum und Resourcenverbrauch.
13. Oktober 2014 um 19:33
Herzlichen Dank für diesen gemeinsamen Aufschlag. Er war überfällig, denn viele der bisherigen z.B. Pro oder Contra Fuecks gingen völlig an der Aufgabe vorbei. Wir brauchen beides, wie es jetzt als "doppelte Entkoppelung" gefordert wird. /Wir brauchen im übrigen auch alle Mitdenker!) Der Begriff ist mir Schnuppe, aber dass Beides nötig ist, war schon immer klar, war auch schon immer Fuecks oder Unmüßig klar. Jetzt geht es darum, weiter zu denken, konkreter zu werden. Ich werbe weiterhin dafür, sich mit dem Konzept und den Erfolgen der Projekte der "Blue Economy" (Gunter Pauly) zu beschäftigen. Bisher erlebe ich nur politisch-korrektes Desinteresse, also "Gummi-Höflichkeit", auch bei Euch beiden Autoren. Niemand soll sich ärgern, dass das DIng nicht "Green Economy" heißt. Aber wer die Lebensgeschichte von Gunter Pauly von Ecover kennt, kann leicht verstehen, dass er sich diesen Mantel nicht mehr umhängen will.
Lasst uns gemeinsam diese Debatte führen.
14. Oktober 2014 um 11:54
Hallo Dieter und Gerhard,
Euer Beitrag weist im ideologischen Ansatz (eine anders Leben ist möglich / Wachstumsideologie überwinden) und im konkreten Ansatz (radikal in der Analyse, praktisch im Handeln) genau in die richtige Richtung. Auch Eure Aufforderung an die Partei, Visionen für ein anderes Leben zu diskutieren und die Diskussionen darum in den Mittelpunkt zu stellen, finde ich richtig.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf einen Menschen hinweisen, der mit seinen Beiträgen seit einiger Zeit uns Anderen eine Ahnung davon gibt, wo eine der Perspektiven liegt, die Visionen für ein anderes Leben begünstigt: Alexander Gerst.
Alexander Gerst ist Pysiker. Anders als andere Pysikerinnen ist er auch ein Schöngeist und sitz freidlich mit einem Amerikaner und einem Russen zusammen, was angesichts der Ukraine-Krise schon an sich eine Erwähnung wert ist. Dazu kommt, dass die drei in einem Orbit in etwa 400 km Höhe mit etwa 30.000 km/h alle 1 1/2 Stunden um die Erde rasen. In der Internationalen Raumstation.
Alexander Gerst berichtet auf twitter mit Fotos und Worten über seine Eindrücke. Immer wieder zeigt er sich fasziniert, von der Schönheit aber auch von der Verletzlichkeit der Erde. Neulich schrieb er z.B, er habe den Eindruck, die Erde selbst würde leben. Dann wieder wunderte er sich, warum sich auf der Erde 7 Milliarden Menschen aufhalten, im Weltraum dagegen nur drei.
Dieser Hinweis soll nur ein Impuls sein. Ich habe den Eindruck, dass unter diesen 7 Milliarden plus drei Menschen derart viele sind, die tolle Ideen jenseits des Wachstumsdogmas haben, dass ich sehr zuversichtlich bin, was die kommenden Diskussionen betrifft.
Torsten Mahncke
14. Oktober 2014 um 20:27
Lieber Dirk, lieber Dierk,
vielen Dank für Eure Kommentierungen, die auf zwei wichtige Ansätze verweisen (blue economy und cradle to cradle). Das Konzept der doppelten Entkopplung fußt auf den Ergebnissen der Bundestagenquete aus der letzten Legislaturperiode, in der die Grünen eng mit dem Wuppertal Institut zusammengearbeitet haben. Eigentlich fordern die Wissenschaftler dort schon lange in einer anderen Sprache das Zusammendenken von Produktions- und Konsumseite. Bei Ihnen sind das die Konzepte der Konsistenz (Naturverträglichkeit bzw. anders produzieren), der Effizienz (Dematerialisierung, besser produzieren) und der Suffizienz (Selbstbegrenzung – weniger konsumieren). Diese Ideen im Zusammenhang mit ökologischem Wohlstand sind in einer Wuppertalstudie aus 2008 veröffentlicht "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt". Leider brauchte es erst eine Enquete im Jahre 2013, die diese Konzepte in den politischen Raum und dann im Abschlussbericht (Kapitel D) festschrieben, übrigens fraktionsübergreifend (!) von der Analyse her.
Wir Grüne haben das früher immer mit den drei E's ausgedrückt. Z.B. Strom: Einsparen, Erneuern, Effizienter. Soll heißen weniger Strom durch wegsparen, benötigten Strom erneuerbar herstellen und dann effizienter nutzen.
Cradle to cradle und blue economy setzen da an naturverträglich (konsistent) zu produzieren und Mittel effizient einzusetzen. Leider gelingt es uns bisher nur wenig in geschlossenen Kreisläufen zu produzieren (ctc) wie z.B. die kompostierbaren Sitzbezüge in einem A 380, businessclass. die übrigen 99,99% des Fliegers können wir (noch) nicht so herstellen. Auch blue economy gerät an seine Grenzen, wenn benötigte Biorohstoffe begrenzt sind, aber nichtsdestotrotz müssen wir diese technologischen Verfahren und Innovationen vorantreiben und nutzen. Am besten kann diese technologische Revolution Ralf Fücks beschreiben.
Aber das eigentlich wichtige bei der doppelten Entkopplung ist auch bei Grüns wieder in Erinnerung zu rufen, dass alle Konsistenz- und Effizienzmaßnahmen nicht zu einer absoluten Reduzierung des Umweltverbrauchs führen, aufgrund von sog. Reboundeffekten, Systemverschiebungen, Mengenverschiebungen, die das angestrebte Einsparpotenzial verringern. Erst das führt dazu, dass trotz technologischer Innovationen in der Vergangenheit, der ökologische Fußabdruck der Weltgemeinschaft gleichzeitig immer größer wurde. Diese Dynamiken radikal zu analysieren und sich trauen daraus auch notwendige Wege konkreter zu beschreiben ist m.E. originäre Aufgabe einer Ökopartei, wenn wir es denn weiterhin bleiben wollen.
Dazu braucht es dann aber auch den Mut weiter über "intelligente" Suffizienz nachzudenken, einfach Einsparungen durch intelligente Nutzung statt Besitz. D.h. eben nicht Besitz vollständig aufzulösen, sondern nur ein wenig komplexer zu denken und konkret zu beschreiben, wie o.g. technologische Innovation zusammengehen kann mit sozialen Innovationen. Das kann viel Wohlstand bringen, welches aber nicht unbedingt mehr Wachstum des BIP zwangsläufig bedeuten muss. Dieser W Begriff ist wie ein goldenes Kalb, um den die Befürworter rechts herumtanzen und die Gegner links. Ich würde das Kalb zunächst nicht beachten wollen und auf die ökologischen und sozialen Notwendigkeiten zuerst richtige Lösungswege suchen, die Wohlstand bringen, aber nicht mehr dem Zwang einheimfallen wachsen zu müssen. Danach schaut man ob Wachstum tatsächlich ausbleibt und wenn ja, muss man für die Folgeprobleme wie Sozialsysteme Lösungen erarbeiten. So wird m.E. ein Schuh draus und ein spannendes Projekt für die Grünen.