Die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen von 2010 bis 2012 war eine durchaus erfreuliche Periode für das Land. Nachdem Koalitionsverhandlungen sowohl mit der FDP als auch mit der Linkspartei gescheitert waren, entschied sich Rot-Grün für ein Wagnis. Unter Führung von Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) entstand eine lebendige Reformperiode. »Hanni und Nanni« schafften es schnell, die Blockadehaltung der zunächst Gift und Galle spuckenden FDP und CDU zu überwinden. Lustig wurde das eine Gesetz mit der CDU, ein anderes mit der LINKEN oder der FDP beschlossen. Oft gelangen auch ganz breite Kompromisse. Dadurch bekamen die Kommunen endlich mehr Geld. Dank eines wegweisenden Schulkompromisses entstehen munter neue Gesamtschulen. Klimaschutz und erneuerbare Energien erhielten Rückenwind. Im Landtag entstand eine neue, lebendige demokratische Kultur, mit der es in NRW zu einer Politik deutlich links der Mitte mit einem erfrischend-demokratischen Stil kam.
Wenn da nicht die Sache mit dem Haushalt gewesen wäre: CDU und FDP verlangten einen ruinösen Sparkurs, ohne selbst vernünftige Vorschläge jenseits von Symbolpolitik zu machen. Denn die Spielräume des Landes und der Kommunen sind begrenzt. Die Linkspartei dagegen wollte den notwendigen Sparkurs nicht einschlagen und verlangte, die Existenz der Schuldenbremse im Grundgesetz schlicht zu ignorieren. Die von ihr geforderten Mehreinnahmen wollte Rot-Grün auch, konnte auf Landesebene jenseits von Bundesratsinitiativen aber wenig tun. So war kein neuer Haushalt zusammenzubringen, geschweige denn eine zukunftsfähige Finanzpolitik zu machen. Aus Sicht der Linkspartei war die Verweigerung der Zustimmung zweckrational, sogar nachvollziehbar. Schließlich war es unerfreulich, profillos zusehen zu müssen, wie Rot-Grün progressive Reformpolitik machte und immer beliebter wurde, und die eigene Existenznotwendigkeit der Linken nicht zu demonstrieren war.
Aus dieser erfolgreichen Episode aus NRW schließen nun manche auf die Bundesebene in diesem Herbst: Was im stolzen NRW mit wechselnden Mehrheiten zwei Jahre geklappt hat, könnte man doch auch im Bund ausprobieren. Dabei kann man schon ins Träumen geraten, wenn man sich die diversen zumindest in der Grundrichtung übereinstimmenden Politikinhalte der drei Parteien links der Mitte anschaut, die zunächst realisierbar wären: gerechtere Steuern – niedriger unten, höher oben, außerdem weniger Ausnahmen und ein ökologischer Umbau, demokratische Strukturreformen auch auf Bundesebene, Zukunftsinvestitionen, scharfe Regulierung der Finanzmärkte usw.
Doch dieser Traum entpuppt sich beim Nachdenken schnell als abenteuerliche Vorstellung. Die CDU in NRW ist aus einem anderen Holz geschnitzt als CDU/CSU auf Bundesebene. Dort würden CDU, CSU und FDP einer verhassten rot-grünen Bundesregierung nicht einen Stich gönnen. Damit würde sich die Schimäre von wechselnden Mehrheiten auf Bundesebene tatsächlich als Tolerierung durch die Linkspartei entpuppen. Spätestens damit wäre Europas wichtigstes Land mitten in der Krise über Nacht ein unsicherer Kantonist. Jede Entscheidung im Bundestag hinge an der Zustimmung der Linkspartei, die nicht einmal in die Verantwortung einer Tolerierungsvereinbarung oder gar eines Koalitionsvertrags eingebunden wäre. Die Bundesregierung würde bei jeder Verhandlung im Europäischen Rat eine sogenannte »lahme Ente«, von Bündnispflichten ganz zu schweigen. Unverantwortlich angesichts der Eurokrise, die ohnehin das europäische Projekt gefährdet. Selbst wenn Teile der Führung der Linkspartei lautere Absichten hätten und die Linke im Osten auch koalitionsfähig, relevanten Teilen der Partei im Westen sind Kompromisse in wichtigen Fragen fremd, und zu Regierungsverantwortung sind sie schon gar nicht bereit. Die Avancen der neuen Führung der Linkspartei an Rot-Grün sind zwar nicht zu überhören, aber wenig glaubwürdig, weil sie nicht durch entsprechende Vorbereitungen und Willen zur Übernahme von Verantwortung unterfüttert sind. Eine Pflanze wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.