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„Rekordsteuereinnahmen?“ Von wegen!

„Rekordsteuereinnahmen“: Dieses Schlagwort ist zur Zeit in vielen Medien zu lesen. Auch Verbände wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) oder die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierte Lobbyorganisation „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ (INSM) behaupten das gerne. Daraus wird dann geschlussfolgert: Wenn der Staat „Rekordsteuereinnahmen“ hat, kann er kein Einnahmeproblem haben. Vielmehr habe die öffentliche Hand ein Ausgabenproblem. Der Staat gehe verschwenderisch mit dem Geld der BürgerInnen um, es solle einfach ein bisschen mehr gespart und sich mit den „Rekordsteuereinnahmen“ begnügt werden.

Schaut man sich die Zahlen allerdings genauer an, relativiert sich ganz schnell die „Rekordmeldung“ von den angeblichen „Rekordsteuereinnahmen“.

Innerhalb der letzten 20 Jahre gab es in 11 Jahren „Rekordsteuereinnahmen“. Nur in den Jahren, in denen es konjunkturell nicht gut lief (1996-1997, 2001-2005) und den ersten Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise (2009 und 2010) gab es keine „Rekordmeldung“. Wie kann es sein, dass „Rekordsteuereinnahmen“ fast zum Normalzustand werden? Ganz einfach, es werden Äpfel mit Birnen verglichen. Es werden nur die nominalen Steuereinnahmen betrachtet. Aber ein Euro 2013 ist natürlich viel weniger wert als ein Euro im Jahr 2000. Die Aussage von den „Rekordsteuereinnahmen“ stimmt nur, solange Inflation und Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht berücksichtigt werden (Berechnungen und Grafiken dazu sind im Blog von Patrick Schreiner zu finden).Bei Betrachtung der relativen Zahlen wird schnell deutlich: inflationsbereinigt (Basisjahr 1991*) sind die Steuereinnahmen seit 2000, wo sie knapp 390 Mrd. Euro betrugen, nur wenig gestiegen. Im Jahr vor dem Beginn der Finanzkrise (2007) lagen sie bei 400 Mrd. Euro. 2012 lagen sie inflationsbereinigt bei 403 Mrd. Euro und auch für 2013 wird nur marginal mehr erwartet. Real sind die Steuereinnahmen also nicht massiv gestiegen, sondern liegen heute nur 13 Mrd. Euro oder gut 3 Prozent über dem Niveau aus dem Jahr 2000.

Im Verhältnis zum BIP liegen die Steuereinnahmen sogar seit Anfang der 1990er Jahre relativ konstant zwischen 22 und 23 Prozent. Es ist also keineswegs so, dass „die Wirtschaft“ oder „die BürgerInnen“ heute im Verhältnis stärker durch Steuern belastet werden würden also vor 10 oder 20 Jahren.

Nichts desto trotz stimmt es natürlich, dass der Staat auch Geld für unsinnige Projekte ausgibt. Das Betreuungsgeld gehört ebenso dazu wie unzählige überflüssige neue Autobahnprojekte. Die Pleitendrohne „Euro-Hawk“ ist ein besonders krasses Beispiel für die Verschwendung im Rüstungsbereich.  

Deshalb wollen wir überflüssige Ausgaben kürzen sowie unsinnige Privilegien und Subventionen (besonders umweltschädliche) abschaffen, z.B. bei schweren Dienstwagen, der Flugindustrie oder bei Ausnahmen bei der Ökosteuer. Damit schaffen wir finanzielle Spielräume für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung sowie Investitionen in Energiewende, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Aber Ausgabenkürzungen und Subventionsabbau alleine reichen nicht aus. Der Staat ist auf allen Ebenen – in den Kommunen, den Bundesländern und im Bund –  unterfinanziert. Die Staatsquote (Gesamtausgaben des Staates im Verhältnis zum BIP) ist in den letzten Jahren in der Bundesrepublik gesunken und liegt mit rund 45 Prozent deutlich unter dem Schnitt der EU-27 (48,9 Prozent) oder der Eurozone (49,4 Prozent). Das ökonomisch sowie sozial erfolgreiche Dänemark weist sogar eine Staatsquote von rund 58 Prozent auf (Quelle: EU-Kommission „Statistischer Anhang der Europäischen Wirtschaft“, Daten für 2012).

Die Unterfinanzierung des Staates in der Bundesrepublik wird tagtäglich dort deutlich, wo es zu wenige KiTa-Plätze gibt, wo Bibliotheken und Hallenbäder geschlossen werden müssen, wo Brücken und Straßen nicht mehr in Stand gehalten werden, wo Radwege fehlen oder wo Kinder- und Jugendarbeit als „freiwillige Aufgabe“ gestrichen wird. Hier zeigen sich die mangelnden staatlichen Investitionen in ErzieherInnen für Kitas, in LehrerInnen und in die Instandhaltung von Brücken, Schwimmbädern oder Bibliotheken. Die öffentlichen Nettoinvestitionen in der Bundesrepublik sind seit mehr als zehn Jahren, seit dem Jahr 2002, negativ (Quelle: Daten der KfW). Das heißt, der Staat lebt von der Substanz und hat nicht genug Geld die bestehenden Vermögenswerte zu erhalten. Die aktuellen Steuereinnahmen reichen nicht aus, um eine hochwertige Infrastruktur und Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Daher brauchen wir neben Ausgabenkürzungen und Subventionsabbau auch moderate Steuererhöhungen für große Vermögen und hohe Einkommen, um unsere Gesellschaft gerechter und zukunftsfähiger zu gestalten.

*Basisjahr 1991 bedeutet, dass die Daten der nachfolgenden Jahre um die inflationsbedingten Steigerungen seit 1991 bereinigt wurden. Dadurch erklärt sich die Differenz der im Text verwendeten Zahlen zu denen, die das Bundesfinanzministerium in der aktuellen Steuerschätzung verwendet.

siehe auch: Aktueller Video-Podcast von Sven-Christian Kindler zur grünen Haushalts- und Steuerpolitik.

Ein Kommentar

  1. Den Begriff "Rekordsteuereinnahmen" finde ich, ebenso wie Sven-Christian, unsachlich. Das trifft allerdings auch auf den Begrifft der "Unterfinanzierung" des Staates zu, den Sven-Christian benutzt, um die Notwendigkeit von Steuererhöhungen zu begründen.

     

    Deutschland hat weder Rekordeinnahmen, noch ist das Land unterfinanziert.

     

    Laut Angaben des Bundesfinanzministerium sind die kassenmässigen Steuereinnahmen nach Gebietskörperschaften von 1970 bis 2012 von ca. 78 Mrd auf ca. 600 Mrd Euro gestiegen und zwar fast regelmässig von Jahr zu Jahr. Im selben Zeitraum ist laut Wikipedia die Staatsverschuldung auf ca. 2.000 Mrd Euro gestiegen. Die Zahlen deuten darauf hin, dass Deutschland in dieser Zeit noch nie einen ausgeglichenen Haushalt hatte – trotz laufender "Rekordsteuereinnahmen" und steigender "Unterfinanzierung".

     

    Unter den gegebenen Umständen wird sich daran wohl auch niemals etwas ändern. 

     

    Das hört sich zwar sehr weitgehend an, wenn damit eine Änderung der "gegebenen Umstände" als notwendig propagiert wird. Das ist es wohl auch. Die Notwendigkeit die gegebenen Umstände weitgehend zu ändern, dürfte aber mittlerweile vor allem im Hinblick auf die ökologischen Veränderungen des "Anthropozäns" wissenschaftlich allgemein bekannt sein. Die Notwendigkeit wird daneben von vielen Menschen "gespürt" werden.

     

    In unserem Wahlprogramm wird diese Notwendigkeit auch deutlich angerissen, ebenso wie es zum Beispiel im Bericht "Welt im Wandel" des "Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" und an vielen anderen Stellen geschieht.

     

    In Deutschland wird sich nichts entscheidend ändern, auch nicht im Hinblick auf die Staatsfinanzen, wenn wir uns nicht trauen und es nicht schaffen, mehr als einige Subventiönchen zu streichen, wie etwa die für große Dienstwagen …