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Das Problem heißt Rassismus

Sommer 1992: In Rostock-Lichtenhagen brennen Heime für Asylbewerber_innen und vietnamesische Vertragsarbeiter_innen. Tausende skandieren: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“, „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik allerorten. Ein Jahr später wird mit dem „Asylkompromiss“, den CDU/CSU, FDP und große Teile der SPD schließen, gegen die Stimmen von Bündnis90 und PDS das Asylrecht faktisch abgeschafft. Das Konglomerat aus Drittstaatenregelung, Sozialleistungskürzung und Arbeitsverbot soll den „Asylmissbrauch“ eindämmen.

Sommer 2012: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Sozialleistungen des 1993 eingeführten Asylbewerberleistungsgesetzes – ca. 60 Prozent der regulären ALG-II-Leistungen und damit 40 Prozent unter dem Existenzminimum – für verfassungswidrig und fordert, man müsse Menschen wie Menschen behandeln. Während der wütende Mob als Reaktion auf das Urteil auf bild.de Sympathie für die Morde des NSU äußert, fordern CSU-Politiker, man müsse die Asylbewerber_innen nun schneller abschieben, um den „Asylmissbrauch“ einzudämmen.

Von Heimatschutz und Vaterlandsliebe

Sommer 2013: In Berlin-Hellersdorf, in Bremen-Vegesack, in Duisburg, in Bitterfeld und vielen weiteren deutschen Städten machen die Bürger_innen mobil gegen Flüchtlingsunterkünfte und die in ihnen lebenden Asylsuchenden. Im Vegesacker Beirat skandieren sie „Arbeit macht frei“, in Hellersdorf und Duisburg müssen antifaschistische Aktivist_innen tage- und nächtelang ausharren, um die traumatisierten Bewohner_innen vor Übergriffen durch Nazis, hitlergrußzeigende Deutsche und – wie im Fall von Duisburg – sogar vor der Polizei selbst zu schützen. Blind, wer die Parallelen zu Rostock-Lichtenhagen nicht sieht. Naiv, wer die Gefahren für die Geflüchteten nicht erkennt.

Der Sommer 1992 steht aber nicht nur für Rostock-Lichtenhagen, sondern auch für Solingen und Mölln. Dort war es kein brauner Mob, sondern „Einzeltäter“, die das Leben einer türkischen Familie mit einem Brandsatz beendeten. Angestachelt durch eine Politik der Ausgrenzung, des Hasses, durch rechte Hetze in Medien und Ministerien, haben die Nazis die Sache selbst in die Hand genommen: „Wenn uns der Staat nicht vor den vielen Ausländern schützt, machen wir das eben selbst!“ – Heimatschutz als Bürgerpflicht. Auch der rechte Terror des NSU hat seinen Ursprung in einer Gruppe, die sich „Thüringischer Heimatschutz“ nennt. Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe haben insgesamt zehn Menschen umgebracht. Seit 1990 sind insgesamt mindestens 180 Todesopfer rechter Gewalt registriert worden. Auch Asylbewerber_innen gehören dazu.

Eine unpopuläre These

Wir müssen diese Vorfälle in einen Zusammenhang setzen. Immer wieder wird im Kontext von Lichtenhagen, Hellersdorf und Vegesack von den berechtigten Sorgen der Anwohner_innen gesprochen. Von den legitimen Ängsten vor Kriminalität, Drogen- und Frauenhandel, Kindesmissbrauch und dreckigen Straßen. Aber: Wer Hass und Gewalt – verbal und körperlich – mit der Angst vor dem Fremden rechtfertigt, muss auch Gewalt gegen Homosexuelle legitim finden. Was ich damit meine: Es ist das „Fremde“, was Angst und Sorgen erzeugt. Menschen, die anders aussehen, anders leben oder anders lieben. Doch wenn im einen Fall klar ist, dass es sich um Homophobie handelt, brauchen wir auch im anderen den Mut zur simplen Feststellung: Das Problem heißt Rassismus.

Mit dieser These eckt man schnell an; es ist eine unpopuläre These. Es geht dabei nicht darum, einen Vorwurf zu formulieren, sondern die richtige Analyse zur Grundlage der Lösung zu machen. Rassistische Strukturen durchziehen unser aller Leben und unser aller Köpfe. Rassismus durchzieht staatliche Institutionen wie Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch Schule, Universität und Arbeitsplatz. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland fordert deshalb auch in ihren Wahlprüfsteinen zur Bundestagswahl, „Das Konzept „Rassismus“ in der Gesetzgebung über den Fokus auf Rechtsextremismus hinaus hin zu einem umfassenden Verständnis von Rassismus gemäß der UN-Antirassismuskonvention ICERD (International Convention on the Elimination of Racial Discrimination) zu erweitern.“ – soll heißen: Rassismus ist konstitutiv für die organisierte Rechte, aber auch Teil unseres alltäglichen Lebens. Darauf muss die Politik Antworten finden, etwa indem sie Programme fördert, die Vielfalt in die Schulen tragen. Oder indem sie rassistischen Praktiken wie dem „Racial Profiling“ endlich ein Ende bereitet.

Rassismus raus aus den Köpfen!

Die politische Reaktion auf die rassistische motivierte Gewalt Anfang der 1990er Jahre war, das aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus heraus verbriefte Recht auf Asyl faktisch abzuschaffen. Weil die Angst groß war, Wähler_innenstimmen an die Republikaner und andere rechte Parteien zu verlieren, ließen sich auch Teile der SPD zu diesem Verrat an Menschenrechten hinreißen. Die Wirkung des Asylkompromisses war verheerend – die Zahl der Asylanträge reduzierte sich auf ein Drittel, die Anerkennungsquote auf fünf bis zehn Prozent. Die Botschaft der Politik an die Nazis war: Wenn ihr nur lange genug Migrant_innen terrorisiert, kommen wir euren Forderungen entgegen. Das hat rechte Argumentationsmuster gestärkt, wie die Reaktionen auf das Verfassungsgerichtsurteil zeigen.

Dieses Jahr steigt die Zahl der Asylanträge erneut, vermutlich auf mehr als 100.000. Und wieder gibt es sie, die „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik. Und wieder gibt es sie, die von organisierten Nazis unterwanderten Proteste der Anwohner_innen. Die Reaktion muss diesmal eine andere sein als 1992! Dass eine andere Asylpolitik möglich ist, zeigt der Vorstoß der GRÜNEN in Friedrichshain-Kreuzberg. Hier unterstützt der grün regierte Berliner Bezirk die Geflüchteten und toleriert das Refugee Camp am Oranienplatz, sodass diese ihre Forderungen vortragen können. Auch in Rheinland-Pfalz gibt es erste Bemühungen, die Bedingungen in der Abschiebehaft zu verbessern und diese perspektivisch abzuschaffen. Diese Initiativen gilt es konsequent und auch gegen Widerstände durchzusetzen. Für eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik, die sich klar gegen rassistische Stimmungsmacht stellt, müssen wir GRÜNEN kämpfen – auch im Bundestags- und Europawahlkampf!

 

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