Eigentlich müsste PRISM und der „große Lauschangriff“ der NSA das Aus der neu zu begründenden Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA bedeuten. Das wäre zumindest angemessen angesichts dieser unfassbar scheinenden Grundrechtsverletzungen, die sich die USA gegenüber europäischen BürgerInnen erlaubt haben. Stattdessen hat am 8.7. die erste Verhandlungsrunde begonnen. Damit beginnen dann die Verhandlungen für das wohl weitreichendste Handelsabkommen der letzten Jahrzehnte.
Das ist nicht untertrieben. Denn was als Rettung aus der Krise durch Wachstum und Jobs deklariert wird, ist vielmehr ein letzter Versuch, die politische Weltordnung zu dominieren. Angesichts aufsteigender Staaten wollen die EU und die USA globale Standards in Sachen Handel setzen – ihre Standards. Damit beschreiten sie Wege außerhalb multilateraler Gremien wie der Welthandelsorganisation. Natürlich ist auch diese gerade wegen der Dominanz westlicher Staaten problematisch, aber ein bilateraler Vertrag der beiden größten Wirtschaftsblocks untergräbt den Multilateralismus völlig.
Ein Handelsabkommen zwischen der EU und der USA, was weniger dem Senken von Zöllen als vielmehr dem Anpassen von Handelsstandards dient, wirkt sich auf die ganze Welt aus. Bilateral festgelegte Standards werden global gültig. Bestehende Abkommen mit anderen Staaten werden durch umgelenkte Handelsströme abgewertet, damit gehören Staaten mit engen Handelsbeziehungen zu den USA (z.B. Mexiko) oder zur EU (wie Niger) zu den Verlierern.
Selbst wenn man an das einfach gehaltene Wachstumscredo glaubt, wonach durch mehr Handel mehr investiert wird und es damit mehr Jobs gibt, kann TTIP kein Retter aus der Krise sein. Zwar soll es dieses Jahr bereits drei Verhandlungsrunden geben (viele Verhandlungen werden nach sechs Runden abgeschlossen), um dem ambitionierten Plan, das Abkommen 2014 in Kraft treten zu lassen, Rechnung zu tragen. Doch angesichts der Streitigkeiten, was VerbraucherInnen- oder Datenschutz anbelangt oder auch Standards im Bereich der Landwirtschaft, ist ein baldiges Ende der Verhandlungen unwahrscheinlich. Selbst die EU-Kommission gibt zu, dass die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt dann noch einige Jahre auf sich warten lassen können. Krisenrettung ist das nicht. Und ob dann alle EU-Staaten profitieren (wenn überhaupt jemand), bleibt umstritten. Schließlich ist für die meisten Mitgliedsstaaten der EU-Binnenhandel von weit größerer Bedeutung als der EU-Handel mit den USA. Analysen zeigen, dass der Handel der EU mit Russland und China immer mehr an Bedeutung gewinnt, während die Handelsbeziehungen zu den USA weniger wichtig werden.
Es ist also offensichtlich, dass es um die politische Vormachtstellung in der sich multipolarisierenden Weltordnung geht. Allerdings mit dramatischen Auswirkungen auch auf die Bevölkerungen in der EU und den USA. Da das Abkommen das Angleichen von Standards anvisiert, wird die EU wohl Kompromisse bei ihren zumeist höheren Standards, z.B. im VerbraucherInnenschutz, eingehen. Das Problem: während in der EU alles verboten ist, was nicht erwiesenermaßen ungefährlich ist, gilt in den USA das umgekehrte Prinzip: was nicht erwiesenermaßen gefährlich ist, bleibt erlaubt. Das wird z.B. bei Genpflanzen zu Problemen führen.
Zudem sollten wir uns gegen einen Mechanismus zum Schlichten von Investor-Staatsstreitigkeiten wehren. Diese intransparente Klagemöglichkeit für Unternehmen gegen Staaten, bei denen in aller Regel die Unternehmen gewinnen, ist angesichts gut funktionierender Rechtssysteme noch überflüssiger ist als in anderen Handelsabkommen, aber auch gefährlicher. So könnten US-Firmen gegen Umwelt- oder Gesundheitsgesetze klagen, wenn sie dadurch ihren Profit geschmälert sehen.
Um allerdings den Verhandlungsprozess zu beeinflussen, müssen wir wissen, was verhandelt wird. Das ist kein leichtes Unterfangen. ParlamentarierInnen wie Öffentlichkeit fehlt der Zugang zu Dokumenten. Doch nicht nur dadurch werden öffentliche Diskussionen verhindert. Problematisch ist auch, dass es keinen Rahmen für einen Austausch mit der EU-Kommission gibt – stattdessen werden nur Mitglieder des EU-Handelsausschusses informiert – und auch in aller Regel nur soweit, wie die Kommission es zulässt. Damit obliegt es den Abgeordneten des Handelsausschusses, die Verhandlungen zu kontrollieren – ohne Zugriff auf die ausschlaggebenden Dokumente und ohne die Expertise von KollegInnen aus den Bereichen Datenschutz, Agrarwirtschaft oder Arbeitsrecht. Dagegen arbeitet die Kommission ressortübergreifend und kommt zusammen mit den ExpertInnen aus den Mitgliedsstaaten auf rund 1000 am Abkommen beteiligte MitarbeiterInnen.
Bei aller Kritik an der Ausrichtung des Abkommens – stärkere Liberalisierung und globale Standardsetzung – bleibt das Grundproblem die Intransparenz der Verhandlungen. Unsere Anstrengung muss darauf liegen, dass Dokumente allen zugänglich gemacht werden und dass Öffentlichkeit und Abgeordnete wirklichen Einfluss nehmen können.
Gleichzeitig war die Aufmerksamkeit für Handelspolitik noch nie so groß wie jetzt. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen und deutlich machen, wofür wir stehen: für einen fairen Handel, von dem Menschen statt InvestorInnen profitieren, für transparente und partizipative Verhandlungen und für eine Weltordnung, in der alle Staaten gleichberechtigt mitreden können.
Mehr dazu:
das geleakte Mandat:
Petition für den Stopp der Verhandlungen: http://www.stop-us-negotiations.eu/
10. Juli 2013 um 3:34
Mehr Tranzparenz? Einfach mal ganz lieb die Briten nach Tempora-Ergebnissen fragen, dann klappt das schon!