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Frage 7 – Thema: Wachstum & Lebensstil

Frage: Wir Grüne haben uns immer mit der Wachstumsfrage beschäftigt. Es wird immer deutlicher, dass eine nachhaltige Entwicklung ohne eine Verände­rung unseres Lebensstils nicht erreichbar ist. Insbesondere der Klimaschutz zwingt dazu, weil Rebound-Effekte die technologischen Errungenschaften kompensieren. Wie willst Du das Spannungsverhältnis zwischen dem ökolo­gisch Notwendigen und dem in Deutschland politisch Vermittelbaren und Umsetzbaren auflösen?

Antwort:

Katrin Göring-Eckardt: Das Wachstumsthema ist mir sehr wichtig. Die Aufgabe GRÜNER Politik sehe ich zuerst einmal darin, immer wieder auf das ökologisch Notwendige hinzuweisen, anstatt in vorauseilender Zurückhaltung zu überlegen, was denn vermittelbar und umsetzbar ist. Vor allem muss es uns darum gehen, zu zeigen, dass Lebensqualität und Zufriedenheit nicht allein von rein
ökonomischem Wachstum abhängen. Die Studie "Das grüne BIP", welche die GRÜNEN in Schleswig-Holstein haben erstellen lassen, zeigt genau das. Und:  Gesundheit, kulturelle Angebote, vor allem auch
Beteiligungsmöglichkeiten  und eine unzerstörte Natur  gehören eben auch ganz entscheidend dazu! Wer allerdings allein in mehr technologischer Effizienz die Lösung aller Probleme sieht, der Frage nach den Faktoren für Zufriedenheit aus dem Weg – ganz abgesehen davon, dass Effizienz allein kein Rezept gegen die zerstörerischen Nebenwirkungen des ungehemmten Wachstums ist, siehe die in der Frage angesprochenen rebound-Effekte. Deshalb muss es umso mehr darum gehen, Fortschritt und Wachstum innovativ zu bestimmen und mit neuen Werten zu füllen. Dazu gehört auch die Soziale Frage: Verteilung und Lebensstil dürfen nicht zu Lasten der Ärmeren gehen.

 

Patrick Held: Die Antworten von Patrick Held sind nur als .pdf verfügbar. Hier geht es zu seinen Antworten.

 

Nico Hybbeneth:  Ich bin davon überzeugt, dass unser Wachstumsbegriff veraltet ist. Er ist neoliberal geprägt und umfasst nur ökonomisches Wachstum. Doch ein drittes Auto für den Haushalt ist in meinen Augen kein Wachstum. Wir brauchen einen Wachstumsbegriff der soziales und ökologisches Wachstum miteinbezieht. Das Spannungsverhältnis aufzulösen ist ein permanenter gesellschaftspolitischer Überzeugungsprozess, der jeden Tag aufs neue sowohl im öffentlichen Leben, als auch in den Parlamenten geführt werden muss. Ein weiterer Ansatz ist die Internalisierung von Umweltkosten in Produktpreise. Außerdem müssen politische Anreize gesetzt werden um einen ressourcensparenden Lebensstil zu fördern, wie dies bereits in der Vergangenheit beispielsweise mit einem Dosenpfand, einem Glühbirnenverbot oder dem Emissionszertifikatehandel geschehen ist. Eine alleinig auf Konsum ausgerichtete Gesellschaft ist nicht zukunftsfähig. Wir erreichen die Grenzen unserer Wegwerfgesellschaft.

 

Roger Kuchenreuther: Zuerst muss die technologische Entwicklung forciert werden, dann müssen wir die Industrie auch zur Umsetzung dieser Innovationen zwingen: Einführung günstiger Elektroautos, verbesserte Kraftwärmekoppelung bei Kraftwerken, Biogasanlagen und allen Kühlungen; Einstieg in Methan-/Wasserstofftechnologie; Photovoltaik auf vielen Dächern und zur Überdachung von Parkplätzen, Stadien und öffentlichen Einrichtungen mit entsprechender Speicherung durch Akkus, H2 usw.; Dämmung und Modernisierung des Altgebäudebestandes; Kreislaufwirtschaft mit Mehrwegverpackungen, vollständiger Wiederverwertung aller Rohstoffe, zuletzt thermische Verwertung; Patentrecherche nach totgekauften Erfindungen, Schutz von Einzelerfindungen und genossenschaftlichen Betrieben: so kann das ökologisch
notwendige ohne Einbußen an Lebensstandart der Masse politisch auch vermittelt werden. Rebound-Effekte begrenzen durch zB Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen, günstige öffentliche Verkehrsmittel (Ökoermäßigung 50% für alle) und Verbot energievergeudender Großveranstaltungen. Ich behaupte ökologisches Wirtschaftswachstum ist möglich!!!

 

Renate Künast: Deutschland als viertgrößtes Industrieland hat die Verantwortung, Vorbild für die ökologische Transformation im 21. Jahrhundert zu sein. Das ist unser großes grünes Thema, die Energiewende ist Teil davon. Ich will die politische Auseinandersetzung über die Frage, wie wir wirtschaften, uns ernähren und uns fortbewegen weiter zuspitzen.

Ich bin überzeugt, dass wir einen anderen Wachstumsbegriff brauchen, der auch gesellschaftliche und ökologische Indikatoren beinhaltet. Fleisch zu produzieren und zu exportieren, führt zum Beispiel national und international zu massiven externen Kosten – solche Effekte müssen wir in den Blick nehmen.

Natürliche Ressourcen sind endlich. Ebenso gibt es eine Grenze, wie viele CO2-Emissionen unsere Welt verkraften kann. Diese banale Erkenntnis muss endlich Eingang in die Art unseres Lebens und Wirtschaftens finden. Eine nachhaltige Gesellschaft wird Fortschritt definitiv nicht allein durch neue Technologien erreichen. Wer das behauptet, hat die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht verstanden. Um zu verhindern, dass Rebound-Effekte jeden Effizienzgewinn an anderer Stelle wieder auffressen, müssen wir ganz bewusst Lebensstile diskutieren und ändern. Weniger kann mehr sein!

 

Alfred Mayer: Die Grünen dürfen von vorneherein nicht in Frage stellen, ob das Notwendige auch vermittelbar sei. Die Menschen sind nicht  so uneinsichtig, daß sie existenznotwendige Maßnahmen nicht mittragen würden. In das Programm gehört das Notwendige ohne Blick darauf, ob sich auch ein Koalitionspartner findet, also so, als würden die Grünen die absolute Mehrheit haben.

Koalitionen dürfen nicht auf faulen Kompromissen aufgebaut sein. Wenn das Notwendige vom Partner nicht mitgetragen wird, müssen wir auf eine Koalition verzichten und als argumentationsstarke Opposition mehr durchsetzen als in einer Koalition etwa unter Schröder oder seinen damals willigen Weggefährten Steinbrück und Steinmeier oder auch anderer Personen mit SPD-Touch.

Die Grünen sollten dabei mitwirken, die Altparteien zu demokratisieren, zum Beispiel durch öffentliche  Aufrufe an die  Nachdenklichen,  in Massen in die Partei ihrer Wahl einzutreten.Denn je demokratischer die Vertreter der anderen Parteien ausgewählt werden, um so umsichtiger könnten sie handeln. Demokratie ist ein unbestreitbares Erfolgsrezept. Je ausgeprägter eine Demokratie ist, um so besser geht es den Menschen und hoffentlich auch bald der Natur. Vgl. www.demokratievonunten.blog.de

 

Markus Meister: Es kann nicht sein, dass z. B. die energieeffiziente Renovierung von Mietshäusern und Wohnungen vom Staat gefördert wird und große Teile der Kosten auf die Mieter abgewälzt werden darf. Eigentum verpflichtet und es ist nicht Aufgabe der Mieter dem Vermieter dabei finanziell zu unterstützen notwendige Modernisierungen durchzuführen. Im Grunde ist es einfach nur witzig, dass die gleichen Leute bei Gesetzen zum Umweltschutz die zu evtl. Mehrkosten bei Energie oder Verbrauchsgütern führen immer sagen, das sei Politik auf Kosten der Schwachen. Ihnen das bei Praxisgebühr, der Einführung von ALG II, Lohnkürzungen, miesen Tarifverträgen, Kurzarbeit, Leiharbeit etc. alles egal ist. Die Löhne müssen stimmen für Menschen, die arbeiten und die die auf soziale Leistungen angewiesen sind, müssen ausreichend vom Staat unterstützt werden, sodass evtl. Mehrkosten gedeckt werden. Und Menschen die es sich leisten können, müssen stärker an der Umsetzung auf von Ökopolitik beteiligt werden, anstatt sie zu subventionieren, wo es gar nicht nötig ist.

 

Claudia Roth: Wir Grüne distanzieren uns vom überholten und rein quantitativen Wachstumsbegriff, der in einen Teufelskreis führt, indem er die Grundlagen unseres Wirtschaftens zerstört und aufbraucht. Eine Politik, die sich an einem solchen überholten Wachstumsbegriff ausrichtet, verfestigt bestehende krisenhafte Verhältnisse, statt sie durch neue Impulse zu überwinden. Wir kritisieren eine menschliche Hybris, die sich in der überkommenen Fortschritts- und Wachstumsideologie und einer Art des Wirtschaftens ausdrückt, die noch viel zu wenig nachhaltig produziert und konsumiert und viele Kosten auf die ärmsten Länder abschiebt.

Ich bin überzeugt, dass wir die ökologischen Notwendigkeiten, vor denen wir heute stehen, mehr und besser vermitteln können, als viele denken. Dass Wachstum um des Wachstums willen grundverkehrt ist, kann man den Bürgerinnen und Bürgern schon erklären – wenn auch nicht einem Philipp Rösler, der noch nicht einmal den "Club of Rome" mitbekommen hat. Und ich glaube auch, dass man die Menschen davon überzeugen kann, dass ein anderer Lebensstil auch für sie Vorteile bringt – ein Mehr an Muße, ein Mehr an Zeit fürs Miteinander und ein Mehr an Zufriedenheit. Wenn sie nämlich ehrlich zu sich sind, dann wissen sie doch längst, dass sie unter den Widersprüchen unserer wachstumsgetriebenen Wirtschaft leiden. 


Aber klar ist auch: Wir Grüne können keine Wunder bewirken. Deswegen werden wir auch auf absehbare Zeit – das ist jedenfalls meine ehrliche Einschätzung – in dem von Euch beschriebenen Spannungsverhältnis zwischen dem ökologisch Notwendigen und dem politisch Vermittelbaren bleiben. Gleichwohl ist das kein Grund, nicht dafür zu werben und daran zu arbeiten, um das ökologisch Notwendige auch durchzusetzen. Das erfordert langen Atem und eine politische Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit, die auch eine wichtige ökologisch-kulturelle Dimension hat und weder oberlehrerhaft noch kalt technokratisch oder auch rein wissenschaftlich daher kommen darf. Auch unsere grüne Glaubwürdigkeit ist gefragt und unsere konkreten Beispiele dafür, wie anderes Leben, Wirtschaften, Arbeiten, Bauen, Wohnen, Essen oder eine andere Mobilität möglich sind. Und wir müssen auch zeigen, wo wir mehr Wachstum wollen – bei den Erneuerbaren Energien nämlich, bei Umwelt- und Klimaschutz, in Bereichen, die die ökologische Transformation der Industriegesellschaft vorantreiben. Ein solches Wachstumskonzept nimmt dann nicht nur Rücksicht auf die negativen Folgen der Umwelt- und Ressourcennutzung, sondern bezieht auch soziale Faktoren wie die ungerechte Vermögensverteilung oder Ausgaben für Bildung und Gesundheit mit ein. Und sie weiß, dass ökologisches Wachstum auch eine wichtige Rolle spielt bei der Sicherung unseres Sozialstaats.

 

Franz Spitzenberger: Die Frage zum Wachstum hat der Club of Rom schon vor einigen Jahrzehnten beantwortet. Ich sehe das von Euch vorgebrachte Spannungsverhältnis nicht. Wachstum darf nicht zu Lasten der Ökologie gehen. Wachstum auf Kosten der Ökologie privatisiert die Gewinne und sozialisiert die Lasten (siehe Fukoshima und die Umweltschäden in China). Wichtig ist, dass die Politik Rahmenbedingungen setzt und dabei Übergangsfristen vorgibt, die sowohl den ökologischen wie den wirtschaftlichen Interessen gerecht werden. Ein maßvoller Umstieg ist besser als wenn der Status quo beibehalten wird.

 

Jürgen Trittin: Fakt ist: Die Wachstumsrate ist in den entwickelten Gesellschaften in letzten Jahrzehnten immer weiter gefallen. Wir müssen unsere Ziele ohnehin mit weni­ger Wachstum erreichen. Zentral ist es, dass wir nicht nachlassen beim Versuch, die absolute Entkopplung zwischen volkswirtschaftlichem Wachstum und Mate­rial- und Ressourcenverbrauch doch zu schaffen. Dazu müssen in allen Bereichen ökologisch motivierte und berechnete, strikte und ambitionierte absolute Gren­zen für Emissionen und Ressourcenverbrauch festgelegt werden, die die techno­logische Entwicklung vorantreiben und Reboundeffekte begrenzen. Ressourceneffizienz wird so zur Folge von Emissionsbegrenzungen und nicht zum Ersatz. So etwas gibt es natürlich nur mit Grünen an der Regierung.

Die strukturelle Abhängigkeit unseres Wirtschaftssystems von Wachstum ist ein Problem. Sie resultiert aus dem Produktivitätsfortschritt, der Rationalisierung auf dem Arbeitsmarkt, dem Wachstumstreiber Staatsverschuldung und der stei­genden Ungleichheit unserer Gesellschaft, die den Aufstieg der unteren Schichten nur über ständiges Gesamtwachstum organisieren kann. Man kann und sollte weiter versuchen, diese systemische Wachstumsabhängigkeit zu verringern. Durch Umverteilung, mehr öffentlich geförderte Jobs, mehr Jobs im Dienstleis-tungs- und Wissensbereich. Aber: Das sind sehr langfristige und schwer umsetz­bare Reformen.

 

Werner Winkler: Ich habe bisher keinen Anspruch, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen und werde ihn auch nicht annehmen. Nach meiner Einschätzung laufen seit ungefähr 10.000 Jahren zwei Entwicklungen parallel: der kulturelle Wechsel von immer mehr Menschen weg von einer naturverträglichen, weitgehend nomadischen Lebensweise mit geringen Ausschlägen in der Bevölkerungszahl hin zu einer auf Wachstum in allen Bereichen (Bevölkerungszahl, Technologie, Ressourcennutzung) ausgerichteten Kultur – und einer Reaktionskette in der Biosphäre auf diese menschlichen Einflüsse (Aussterben von Arten, Veränderung von Landschaften, Klimawandel). Ich habe mich dazu in den Essays "Das Wachstumsschiff", "Ein Funken Hoffnung bleibt" und "Nach uns die Steinzeit" geäußert und stelle diese Texte Interessierten gerne zur Verfügung.

Es scheint mir anmaßend und hoffnungslos, in diesen Wettstreit aus einer so schwachen Position eingreifen zu wollen, wie wir sie als national agierende Partei mit 10-15% Wählerstimmen faktisch haben. Was nicht heißen soll, dass es keinerlei Hoffnung gäbe – aber die sehe ich derzeit nicht im politischen Bereich. Was Politik und speziell grüne Politik im Angesicht dieser Entwicklungen tun könnte, ist aus meiner Sicht vor allem die Verhinderung von noch Schlimmerem und den Rückbau von Fehlentwicklungen, wo immer möglich. Und sicher hat die ökologische Bewegung bereits eine Menge Bewusstsein für diese Themen geschaffen und auch Dinge verhindert – in dieser Richtung könnte also "mehr von dem, was funktioniert hat" versucht werden.

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