Am Rande der Diskussion um die Urwahl der grünen SpitzenkandidatInnen zur Bundestagswahl kam immer mal wieder – oft und gerne auch von VertreterInnen des sog. Reformer-Flügels – die Frage bzw. Forderung auf, dass es doch ein Gebot innerparteilicher Demokratie wäre, die gesamte Partei durch diese beiden Personen zu repräsentieren und dass deswegen auf keinen Fall zwei Linke – gemeint hier Claudia Roth und Jürgen Trittin – gewählt werden können. Dafür wird dann gerne der Begriff "Flügelquote" gebraucht. "Quote" klingt für grüne Ohren erst einmal immer vertraut und gut, und gegen die Forderung, die Spitzenkandidierenden mögen möglichst breit die gesamte Partei hinter sich sammeln können, lässt sich auch schwerlich etwas sagen. Schauen wir uns also einmal diese Forderung an. Brauchen wir eine Flügelquote? Oder können wir auch guten Gewissens zwei "Linke" wählen?
Zuerst einmal muss festgehalten werden: eine Flügelquote hat es in unserer Partei noch nie gegeben. Doppelspitzen von selben Flügel (allerdings meist vom Realo-Flügel) waren durchaus üblich, gerade auch an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion. Wenn wir auf die Spitzen unserer Landtagsfraktionen schauen, sehen wir dort fast nur Reala/-los. Unser Bundesvorstand und die Spitzen unserer Bundestasfraktion sind zur Zeit aus Flügel-Sicht quotiert, aber wenn wir auf das Gesamtbild incl. Parteirat, Bundestagsfraktion und Länder schauen, stellen wir immer noch einen deutlichen personellen Überhang zugunster der sog. Realos oder ReformerInnen fest. Wenn wir also mit Flügelquoten anfangen wollen, dann kann man darüber fairerweise erst dann diskutieren, wenn das Verähltnis von Realos / Linken in den wichtigen Positionen ausgeglichen ist. Das ist zur Zeit nicht der Fall.
Zum zweiten: Die Bündnisgrünen sind eine Partei der linken Mitte. Dieses Label wird auch ausdrücklich von VertreterInnen des Realo-Flügels so gebraucht und nicht in Frage gestellt. Wenn also beide SpitzenkandiatInnen links der Mitte stehen, repräsentiert das die Partei angemessen, auch nach außen. Teile des Realo-Lagers, z. B. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, betonen zudem, die Spitzenkandidierenden müssten auch WählerInnen aus dem sog. bürgerlichen Lager an uns binden und sie nicht verschrecken. Das ist sicher nicht verkehrt, nur steckt dahinter die falsche Vorstellung, Jürgen Trittin und Claudia Roth würden immer noch als linksradikale Bürgerschrecks wahrgenommen werden. Davon kann aber keine Rede sein. Umgekehrt stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Partei mit zwei dezidiert am bürgerlichen Lager orientierten Spitzen tatsäch noch erfolgreich als "linke Mitte" positionieren könnte. Und man fragt sich auch, ob es in der "mittleren Mitte" mit Union und SPD nicht sowieso schon etwas eng ist.
Gibt es also Gründe, nicht eine Doppelspitze aus Claudia Roth und Jürgen Trittin zu wählen? Natürlich gibt es die. Die Wahlentscheidung ist individuell, und jedeR soll noch ihren/seinen Präferenzen entscheiden. Der parteiinterne Proporz oder eine irgendwie amorphes Gefühl von Fairness ("Der andere Flügel muss doch auch repräsentiert sein.") sind aber kein Argument dafür. Als Linke haben wir mit Claudia und Jürgen zwei sehr gute KandidatInnen. Wer die beiden wählen möchte, kann das tun. Eine Flügelquote gibt es nicht. Sie ist auch nicht sinnvoll.
15. Oktober 2012 um 17:09
Eigentlich wäre eine andere Debatte interessant: welche Themen wollen wir im Mittelpunkt der nächsten Wahl stellen und wie wollen wir es schaffen entsprechend dann Personen zu wählen die aus unserer Sicht diese verköpern? Welche Wählelrmilieus wollen wir halten und welche dazu gewinnen spielt auch eine Rolle, ich glaube allerdings, dass das "Wildern" in schwarzgelbe Wählermilieus nur punktuell auf kommunaler Ebene oder Landesebene klappen kann, wenn entsprechende "Persönlichkeiten" auch eine hohe Glaubwürdigkeit bei solchen Milieus haben. Auf Bundesebene sind schlicht und einfach die Differenzen zwischen den Parteien in den letzten Jahren so gewachsen – dass ein solches "Wildern" eher schwierig erscheint.
Ich würde eher im Hinterkopf bei solchen Debatten über Spitzenkandidierende (egal auf welcher Ebene im übrigen und auch bei politischen Mitbewerber) haben, dass nicht nur die Gesamtheit der Partei mit den Kandidadierenden am Schluß leben können muss, sondern wir auch circa 8 Monate mit ihnen um grüne Inhalte bei den WählerInnen werben.
15. Oktober 2012 um 17:46
Ich finde, dass Peters Einlassung zu dem Thema den Nerv der Diskussion treffen. Zudem müssten die derzeit zertrittenen sogenannten Realos dann auch sagen für welchen Teil "ihres" Flügels denn welcheR KandidatIn steht. – Das Binden bürgerlicher WählerInnen ist mir aus Thüringen noch im Ohr: da wurde es immer ins Feld geführt, wenn KGE kandidierte…
16. Oktober 2012 um 20:56
Warum wird Jürgen eigentlich noch als Linker wahrgenommen? Wegen seiner Wahlkampfreden, wegen seiner Vergangenheit, wegen seiner Kumpel im linken Lager? Bestimmt nicht wegen der Politik die er unter Schröder gemacht hat und unter Steinbrück vielleicht machen wird!
Dieses Gruppendenken ohne zu schauen was sich hinter dem Label "linker Jürgen" verbindet verstehe ich nicht, das kritiklose abfeiern noch weniger! Wären sie links gebe ich Dir recht, es spreche nichts dagegen wenn sie Spitzenkandidaten wären die Claudia und der Jürgen. Aber sind sie es denn wirklich? An den Taten sollte man sie und kann man sie sogar messen, wenn man wollte!
2. November 2012 um 21:47
Bei einer anscheinend eher geringen Wahlteilnahme der Mitglieder um etwas mehr als 50% muss man eher selbstkritisch in der Analyse über Sinn und Zweck dieser Personen-Urwahl sein.
Auch wir Basiskandidaten müssen uns kritisch hinterfragen, wenn die Hälfte der Mitglieder zwar genervt scheinen von Personaldebatten, der alten Garde und der Mutlosigkeit und Feigheit der jüngeren Berufspolitiker, es aber vorgezogen haben ihre Unterlagen erst gar nicht einzusenden, statt von ihrem Wahlrecht gebrauch zu machen. Kritisch hinterfragen sollten sich aber auch die, die seit Jahren eine personelle Erneuerung der Grünen in der Opposition blockiert haben, aber noch mehr die, die jetzt aus den Ländern oder der zweiten Reihe im Bundestag meinen mit billigen Nachtreten, ihre Lustlosigkeit oder Angst selbst anzutreten vergessen machen zu können.
Es fällt auf, dass das vorallem auch wieder Männer sind. Die Palmers, Al-Wazirs, Becks oder Özdemirs haben bei dieser Urwahl durch Ihre Mutlosigkeit mindestens so versagt, wie sie es jetzt zum Teil uns Basiskandidaten vorwerfen!