Grün.Links.Denken

Patriots nur unter klaren Bedingungen zur Verfügung stellen

Aus grüner friedens- und sicherheitspolitischer Sicht gibt es keine reinen „Defensivwaffen“. Waffen, die „nur“ zur Abwehr anderer Waffen dienen, können auf zwei Weisen destabilisierend und konfliktfördernd wirken. Die (vermeintliche) Unverwundbarkeit ermöglicht zum einen objektiv der geschützten Seite eine aggressivere militärgestützte Politik und verringert zum anderen das subjektive Sicherheitsgefühl der ungeschützten Seite, die sich deshalb zu einem Rüstungswettlauf gezwungen sehen kann. Der Abschlussbericht der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission führt dazu aus:

Eine Raketenabwehr, die auf eigene Unverwundbarkeit zielt, ist mit dem Ansatz der kollektiven Sicherheit unvereinbar. Das führt zu neuen Rüstungsschüben und nicht zu einem „Mehr“ an Sicherheit.

Wenn also nun deutsche Patriot-Systeme mit dem Argument angefordert werden, dass es sich um eine reine Defensivmaßnahme handele, ist aus grüner Sicht u.a. zu fragen, ob eine der beschriebenen Wirkungen zu befürchten ist.

Bei der Frage einer möglichen Aufrüstung ist zu unterscheiden zwischen der Region im Ganzen und dem aktuellen Konflikt in Syrien. Es spricht wenig dafür, dass die vorübergehende Verlegung von Patriot-Systemen in die Türkei eine Rüstungsspirale in der Region auslösen bzw. verstärken würde. Es gibt bereits diverse permanente Patriot-Systeme in Kuwait, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel, und im Rahmen der letzten beiden Irak-Kriege wurden weitere Systeme in Jordanien, Bahrain und auch der Türkei stationiert.

Für den aktuellen Konflikt in Syrien stellt sich die Frage weniger hinsichtlich der möglichen Reaktion der syrischen Regierung als in Bezug auf Russland und den Iran. Im Falle des Irans, der wie die syrische Regierung eine Stationierung ganz allgemein als Provokation betrachtet, ist davon auszugehen, dass dieser die syrische Regierung ohnehin weiter im Rahmen seiner Möglichkeiten mit Waffen unterstützen wird. Russland hingegen hat sich gegen die Stationierung ausgesprochen, weil es diese als ersten Schritt zu einer Flugverbotszone und damit einem zweiten Libyen betrachtet. Die russische Haltung ist also durchaus als Reaktion auf das Verhalten der NATO aufzufassen. In Libyen hat sich gezeigt, dass NATO-Einsätze eine Eigendynamik entwickeln und sich dabei von ihrer völkerrechtlichen Legitimationsbasis entfernen können. Die russischen Sorgen sind daher sehr ernst zu nehmen, und das Bundestags-mandat muss explizit festhalten, dass eine Ausweitung des Einsatzes ohne eindeutiges VN-Mandat ausgeschlossen ist. Ob Russland auf die Stationierung konfliktverschärfend reagiert, z. B. mit Waffenlieferungen an das syrische Regime, wird wesentlich auch davon abhängen, ob seinen legitimen Bedenken Rechnung getragen wird. Das allgemeine Misstrauen Russlands gegen eine NATO-Raketenabwehr kann dagegen nicht durch Rücksichtnahme in diesem Einzelfall ausgeräumt werden; ihm sollte vielmehr durch einen intensiveren Dialog und eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit den russischen Vorschlägen für eine europäische Sicherheitsarchitektur, längerfristig mit einem globalen kollektiven Sicherheitssystem begegnet werden.

Ermöglichen die Patriot-Systeme der Türkei eine aggressivere Politik gegenüber Syrien? Wenn sie unter türkischen Befehl gestellt würden, könnte das durchaus der Fall sein: Während sie zwar der lokalen Bevölkerung im Grenzgebiet keinen Schutz vor Mörserangriffen bieten, könnten sie die Handlungsfähigkeit der syrischen Luftwaffe einschränken, diese weiter ins Landesinnere zurückdrängen und somit ein offensives Vorgehen ermöglichen. Da sowohl das bisherige Agieren der türkischen Regierung gegenüber Syrien als auch ihre Intervention im kurdischen Nordirak dies zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, müssten die Patriot-Systeme unbedingt unter NATO-Kommando bleiben. In diesem Fall ist aber auch ein umgekehrter Effekt denkbar: Wenn klar ist, dass der Schutz durch die Patriots an ein völkerrechtskonformes und mit der NATO abgestimmtes Vorgehen geknüpft ist, könnten sie einen zusätzlichen Anreiz zur Mäßigung setzen. Eine solche Konditionierung sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man die VN-Bindung in Präambel und Artikel 1 des Nordatlantikvertrags ernstnimmt.

Abzuwägen ist natürlich auch die Gefahr für die SoldatInnen, die vor Ort stationiert werden sollen. Ein direkter Angriff auf sie würde auch das Risiko steigern, dass die NATO in den Krieg hineingezogen wird. Die Patriot-Systeme sollten daher nicht unmittelbar an der Grenze aufgestellt werden, wo sie dem schon jetzt stattfindenden Mörserbeschuss ausgesetzt wären und zudem in den syrischen Luftraum hineinwirken würden, sondern in einem Abstand von der Grenze, der noch die Verteidigung des türkischen Luftraums erlaubt. Damit würde auch zum Ausdruck kommen, dass die Stationierung nicht als Unterstützung einer türkischen Einmischung in kurdisch geprägte Grenzgebiete Syriens zu werten ist. Die diesbezüglichen Sorgen der kurdischen Bevölkerung müssen ernst genommen und berücksichtigt werden.

Der konkrete Sicherheitsgewinn durch die Patriot-Systeme wird voraussichtlich recht begrenzt sein. Für eine strikt konditionierte Zustimmung sprechen dennoch zwei spezifische Gründe. Zum einen kommt die Anfrage aus der Türkei. Unabhängig von den Motiven der türkischen Regierung, die im Einzelnen zu hinterfragen sind, würde die Ablehnung einer Bitte um Unterstützung aus Deutschland ein Signal an die türkische Bevölkerung senden, das nicht im Sinne der grünen Türkeipolitik sein kann. Hier sollte auch berücksichtigt werden, wie die Argumente abgewägt werden würden, wenn die Bedrohungssituation und damit die Anfrage umgekehrt wäre.

Zum anderen handelt es sich um spezifische Systeme, die innerhalb der NATO außer Deutschland nur die USA und die Niederlande bereithalten. Es geht also nicht um einen allgemeinen Beitrag zu einer Truppe, die je nach politischen Präferenzen aus verschiedenen Ländern zusammengestellt werden kann, sondern um eine Fähigkeit, auf die Deutschland sich spezialisiert hat und auf die sich die Verbündeten in gewissem Maße verlassen müssen. Das impliziert natürlich keinen Automatismus; die Entscheidung über den Einsatz bleibt, solange nicht auf europäischer Ebene Strukturen für Einsätze im Auftrag des Europäischen Parlaments geschaffen worden sind, beim Bundestag. Aber es ist ein Aspekt, der in der Abwägung zu berücksichtigen ist.

In der Gesamtbetrachtung kommen wir zu dem Schluss, dass die Verlegung der Patriot-Systeme zwar mit Risiken verbunden ist aber auch wichtige Gründe gegen eine Ablehnung sprechen und bei geeigneter strikter Konditionierung eine gute Aussicht besteht, der Stationierung einen überwiegend defensiven Charakter zu verleihen und im günstigen Fall einem eskalierenden Verhalten der Türkei sogar entgegenzuwirken. Sollte die Bundesregierung ein Mandat beantragen, das eine solche eindeutige Konditionierung beinhaltet, so sollte die Bundestagsfraktion unseres Erachtens diesem Antrag zustimmen.

 

Felix war  Mitglied der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission und von 2006-2011 Sprecher der BAG Frieden & Internationale Politik.

Tim war von 2006-2008 im Bundesvorstand der Grünen Jugend und studiert derzeit in New York mit Schwerpunkt internationale Politik.

siehe auch Beitrag von Uli Cremer
 

9 Kommentare

  1. Eine interessante Abwägung. Ich finde es gut, dass Ihr die Motive "Bündnisverlässlichkeit" und besondere Beziehung zur Türkei klar benennt und auch als relevante Argumente wertet. Relevant für die Diskussion finde ich allerdings auch die Position der Grünen Friedensinitiative: http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/121121_syrien_patriot.html

  2. Hi Peter,

    Uli Cremer ist auch für einen Kommentar angefragt und sein Beitrag erscheint vermutlich morgen.

    HG

    Micha

     

  3. Ich denke, die Annahme, dass die Verlegung Russland düpiert ist fehlerhaft. Russland liefert bereits Waffen an das syrische Regime und wird dies auch weiterhin tun. Für Russland gibt es zu diesem Vorgehen keine Alternative außer der Nahe Osten wäre als komplett machtfreier Raum zu begreifen, in dem nicht die Konkurenz zu den USA und teilw. der EU auf den Spiel stände. Selbst bei einer Politik von US/EU Seite, die nicht militärisch aktiv würde, bestünde dieser Gegensatz weiterhin.

    Die türkische Einmischung in den kurdischen Teil Syriens findet bereits statt, allerdings eher über die FSA, Patriots spielen wohl dabei keine Rolle. Dazu sind die kurdischen Gruppen ja gerade dabei sich selber zu zerlegen im Machtkampf PKK/KNC.

    Ich denke, die Türkei sieht die Patriotstationierung eher als Möglichkeit Symbolpolitik ggü. der eigenen Bevölkerung zu betreiben ("guckt, wir tun was!") und zu demonstrieren, dass man nicht alleine dasteht. Das das überhaupt notwendig ist, hat natürlich auch mit Erdogans Haudrauf-Rhetorik zu tun, von der er nur schwierig zurückrudert. Das ein paar Staffeln Patriots eine Flugvebotszone vorbereiten sehe ich wirklich nicht. (ich denke, militärisch ist sowas nur schwierig umsetzbar, da man Flugabwehr in dichtbesiedelten Gebieten ausschalten müsste. Grundsätzlich würde ich aber nicht sagen, dass es nicht vielleicht sinnvoll sein könnte.)

    Ironischerweise ist das Land, das über geeignete Abwehrmaßnahmen verfügt, die der Türkei zur Verfügung gestellt werden könnten übrigens Israel mit seinem Iron Dome System. Aber da werden wir wohl so schnell keine Kooperation sehen 🙂

     

  4.  

    Lieber Kristian,

     

    wenn ich Deinen Kommentar lese habe ich das Gefühl, dass wir im Ergebnis, was die Einschätzung der Funktion und Gefahr der Patriot-Systeme angeht, nicht wirklich weit auseinander liegen. Dennoch möchte ich noch einmal auf Unterpunkte eingehen.

     

    Wir haben nicht gesagt, dass Russland durch die Stationierung düpiert werden würde, sondern uns die Frage gestellt inwiefern die Stationierung der Patriot-Systeme Anlass und/oder Vorwand für verstärkte Waffenlieferungen von außen geben könnten. Zu diesem Zweck ist es wichtig sich die Reaktion und Rhetorik Russlands anzuschauen und zu überlegen wie man dieser ggf. entgegen wirken kann.

     

    Die an anderer Stelle (BAG/LAG Mailinglisten) verlinkte SWP Studie (http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/syriens_buergerkrieg_externe_konflikttreiber.html) beinhaltet ja ebenfalls unseren Punkt zur weiteren Vertrauensbildung bezüglich des geplanten NATO Raketenabwehrschirms und sieht das als möglichen konstruktiven Ansatz, um Russlands Position zu ändern.

     

    Die von Dir angesprochene türkische Symbolpolitik nach innen spricht ja wiederum eher für als gegen eine Stationierung, da aktuell davon auszugehen wäre, dass diese Symbolik ein aktiveres und aggressiveres Vorgehen an anderen Stellen obsolet macht.

     

    Beste Grüße

    Tim

  5. Pingback: Der trügerische GRÜNE Frieden mit den Patriots - Grüne Linke

  6. Lieber Felix, lieber Tim, als einer der Erst-Unterzeichner des Aufrufes "Keine Patriots an die syrische Grenze gehe ich davon aus, dass ihr den Aufruf und unsere dort vorgebrachten Argumente kennt, stelle aber fest dass ihr nicht auf sie eingeht. Ich will darum auf Euren Text hier eingehen.

    Der ganze Text läuft auf ein "wird schon gut gehen" hinaus – eine Einstellung, die von mehr Optimismus als Argumentationstiefe getragen wird. Schon zu Beginn heisst es fälschlich, es sei aus grüner Sicht zu fragen, ob beschriebene Wirkungen zu befürchten seien. Richtig wäre: Es ist aus grüner Sicht zu fragen, ob die beschriebenen Wirkungen und die berechtigten Befürchtungen einer Eskalation der Region auszuschliessen sind. Die Antwort auf diese Frage nämlich wäre die gleiche, die eine GRÜNE Bundestagsfraktion, die jedenfalls grünlinke Abgeordnete geben sollten: Nein.

    Das geht bis hin zu deiner, Tims, Antwort auf Kristian zur Türkischen Symbolpolitik, da anders als du hoffst davon auszugehen ist, dass eine Verstärkung durch NATO-Partner an der Türkisch-Syrischen Grenze, mit Waffen die für Abwehr nicht, für den Beginn einer Flugverbotszone aber durchaus geeignet sind, ein aktiveres und aggressiveres Vorgehen der türkischen Seite erst möglich macht.

    Die Türkei ist bei den Kämpfen in Syrien kein unbeteiligter Dritter, bei dem unsere Bündnispflicht gebieten würde, ihn davor zu schützen dass er in einer innersyrischen Konflikt hineingezogen wird.

    Wir GRÜNE haben, zumal als Oppositionspartei, die Aufgabe das Regierungshandeln kritisch zu prüfen und dann dagegen zu stehen, wenn die CDU/CSU politische Entscheidungen trifft die zugleich unserem Programm wie auch den Interessen der Menschen vor Ort zuwiderlaufen.

    Ein Einsatz wie der geplante, der konfliktverschärfend wirken und in der irgendwann als alternativlos präsentierten Abfolge der Ereignisse zur Ausweitung der Kriegshandlungen führen kann, darf von GRÜNEn, zumal von Menschen die Grün-Links-Denken, meiner Überzeugung nach nicht nur und nichteinmal in erster Linie geostrategisch im Sinne der NATO gesehen werden – sondern im Sinne der friedenspolitischen Konfliktbegrenzung und der Kriegsprävention, wie sie im Sinne der von Krieg betroffenen Menschen ist und wie sie auch die FriSiKo als klares grünes Ziel formuliert hatte.

    Mit grünem Gruß aus Tübingen,

    Wolfgang G. Wettach,

    Stv.Sprecher BAG Europa

  7. "Auch die Grünen-Außenexpertin Kerstin Müller äußerte sich positiv: „Meine persönliche Tendenz ist eher die, dem zuzustimmen“, sagte sie nach einer Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses durch Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. Einige Fragen müssten aber noch geklärt werden." Das Kerstin Müller überall dabei ist, wo es knallt, blitzt und raucht, dürfte sich allmählich herum gesprochen haben. Es ist ihrem nicht unmassgeblichen Einsatz zu verdanken, dass die Mehrheit der Delegierten in Hannover sich für eine  Variante des Beschlusses zu r2p entschieden hat, die fordert, die UN solle sich dahingehend verändern, dass die Generalversammlung das "letzte Wort" bei blockiertem Sicherheitsrat haben soll. Diesen Fall haben wir in Sachen Syrien. Ein Mandat der UN, gar ein militärisches, ist nicht zu erwarten. Vor diesem Hintergrund jedoch die Gefahr einer "NATO-Selbstermächtigung" zum Eingreifen erst gar nicht zu erwähnen, auch sonstige Begleitumstände wie die Stationierung von dazu gehörigem Personal im Krisengebiet unerwähnt zu lassen, oder es auszulassen, die unterschiedlichen Interessenlagen (u.a. die Verstärkung des "Kampfes" gegen "kurdichen Terrorismus" in den Kurdengebieten) in der Öffentlichkeit zu erörtern, liegt da ganz auf der "neuen" Linie. Das Statement von Felix und Tim hingegen formuliert Bedingungen an die Zustimmung eines Einsatzes der Patriots, sie haben also die Vorstellung, den Hilfeersuchenden (den NATO Partner Türkei), zu "konditionieren". Die "Konditionierung" ist aus deren Perspektive notwendig, weil sie dem NATO-Partner nicht trauen. Felix beschreibt das in seinem Kommentar als "kritischen Blick auf die NATO", den er sich bei den Grünen "verbreiteter" wünscht. Dies scheint mir doch eher der bei uns Grünen beliebten, der nachhaltigen Selbsttäuschung dienenden, "Wünsch dir Was – Liste" zu entstammen, die die Wirklichkeit recht regelmäßig mit dem unter uns Älteren bekannten "You can't always get what you want" (von den gealterten "Jungs" mit der passenderweise im Logo geführten roten, raus gestreckten Zunge, popularisiert) beantwortet, zu entstammen. Umfangreichere Konflikte bis hin zu lang andauernden Kriegen entstanden häufig mit scheinbar harmloser Einlösung von ebenso scheinbar verantwortbaren "Bündispflichten" … Die Türkei lies unterdessen bereits am 22.11. verlautbaren, dass selbstredend ihre Militärs die Befehlsgewalt über diese Patriots beanspruchen (FAZ, 22.11. online, "Türkei beansprucht Kommandogewalt"). Das sagt mehr über die Erfolgsaussichten von Konditionierungsversuchen, als den beiden Autoren lieb sein dürfte.
    Simon Lissner
    (Mitglied des Kreisvorstand, Limburg-Weilburg)

  8. Kommentierung des Antrags der Bundesregierung zur Verlegung von Patriot-Systemen

    Felix Pahl, Tim Rauschan

    Im Folgenden kommentieren wir den von der Bundesregierung vorgelegten Antrag zur „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei“ (Bundestagsdrucksache 17/11783, http://goo.gl/Xp6fC) mit Blick auf die Kriterien, die wir in unserem Beitrag „Patriots nur unter klaren Bedingungen zur Verfügung stellen“ (http://goo.gl/AQxxS) entwickelt hatten.

    Einsatzgebiet und Einsatzweise: „Der Einsatz dient nicht der Einrichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium. […] Einsatzgebiet ist das Staatsgebiet der Türkei. Die bodengebundene Luftverteidigung wird nicht in den syrischen Luftraum hinein wirken.“ Hier wird einigen Bedenken gegen den Einsatz Rechnung getragen, und zwar in den entscheidenden Abschnitten zu Auftrag und Einsatzgebiet im Antragstext. Als Einsatzgebiet wird aber ohne Einschränkungen das gesamte Staatsgebiet der Türkei bis zur syrischen Grenze benannt. Eine Aufstellung in ausreichendem Abstand von der Grenze wäre dagegen aus drei Gründen wichtig.

    Erstens wären die Truppen an der Grenze der Gefahr eines zufälligen oder gezielten Granatenbeschusses ausgesetzt, der schon jetzt vereinzelt stattfindet. Auch unabhängig von der Frage einer ausreichenden Konditionierung ist es problematisch, dass der Antrag das Risiko für die eingesetzten SoldatInnen noch nicht einmal in der Begründung abwägt oder auch nur thematisiert. Mit der Gefährdung der SoldatInnen einher geht ein erhöhtes Risiko, dass die NATO in den Konflikt hineingezogen wird.

    Zweitens sind die Aussagen, dass der Einsatz nicht einer Flugverbotszone dient und nicht in den syrischen Luftraum hineinwirkt zwar zu begrüßen; sie bleiben aber, sollten die Patriot-Systeme an der Grenze aufgestellt werden, bloße Absichtserklärungen, die für andere Konfliktparteien nicht überprüfbar sind und einer Auswirkung auf den Konflikt daher nicht unbedingt entgegenstehen.

    Drittens würde eine Aufstellung an der Grenze die Gefahr erhöhen, dass die Verlegung als Unterstützung der türkischen KurdInnenpolitik aufgefasst wird. Eine Stärkung in dieser Hinsicht ist vermutlich eines der innenpolitischen Ziele, die Erdoğan mit der Anfrage verfolgte, und die diesbezügliche Wahrnehmung der Stationierung in der Region wird wenig davon abhängen, was NATO-VertreterInnen und Bundestagsbeschlüsse über die genaue Programmierung der Patriot-Systeme aussagen.

    NATO-Kommando: Der Antragstext könnte zwar die NATO-Kommandostruktur expliziter benennen; es geht aber daraus hervor, dass der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Rahmen der integrierten Luftverteidigung der NATO erfolgt. Diese ist die völker- und verfassungsrechtliche Grundlage sowie Kern des Auftrags des Bundeswehreinsatzes. Die integrierte Luftverteidigung der NATO unterliegt im Einsatz dem Kommando des Allierten Oberbefehlshabers der NATO (Supreme Allied Commander Europe), der die militärstrategische Befehlshoheit bei Operationen der NATO hat. Der Antrag verweist auf diese Strukturen, wenn er sich auf die „Beteiligung an internationalen militärischen Hauptquartieren“ bezieht. Konkreter ist es leider nur in der Begründung formuliert: „Der deutsche Beitrag gliedert sich in die NATO-Kommandostruktur ein wodurch jederzeitige politische Kontrolle gewährleistet ist. Die deutschen PATRIOT-Systeme und ihr Bedienungspersonal werden nach der Verlegung in die Türkei dem Alliierten Oberbefehlshaber der NATO unterstellt.“ Angesichts der Aufmerksamkeit, die dieser Punkt in der öffentlichen Debatte hatte, und den explizit widersprechenden Behauptungen türkischer RegierungsvertreterInnen ist es zu bedauern, dass die Bundesregierung hier keine klarere Festlegung im Antragstext getroffen hat. Dennoch ist es eindeutig, dass der deutsche Einsatz unter NATO-Kommando erfolgt.

    Russland: Der russische Außenminister hat bei seinem Besuch in Brüssel den NATO-Beschluss zur Verlegung der Patriot-Systeme laut Medienberichten überraschend zurückhaltend kommentiert und ihn als Defensivmaßnahme und innere Angelegenheit der Türkei und der NATO bezeichnet, in die er sich nicht einmischen wolle. Es ist nicht bekannt, ob und welche Zugeständnisse und Garantien Russland gegeben wurden, um diese Akzentverschiebung in der russischen Haltung zu bewirken; es scheint aber, dass eine zusätzliche Konfrontation mit Russland und damit vermutlich auch eine zusätzlich konfliktfördernde Reaktion Russlands erfolgreich vermieden wurden.

    Fazit: Insgesamt kommen wir zu dem Schluss, dass die Bundesregierung zwar im Vorfeld eine politische Richtung vertreten hat, die in der Konsequenz eine Zustimmung erlaubt hätte, diese sich aber in einem entscheidenden Punkt, der Stationierung in ausreichendem Abstand von der Grenze, nicht im Antragstext niedergeschlagen hat. Dadurch würde eine Zustimmung zu dem Antrag in der gegenwärtig vorliegenden Form eine zu weitreichende Autorisierung beinhalten, die sich sowohl vor Ort unter Umständen konfliktverschärfend auswirken könnte als auch den politischen Spielraum zur Ablehnung sich möglicherweise anschließender Maßnahmen verringern würde. Auf der anderen Seite steht aber nach wie vor das Argument, dass eine Ablehnung der Anfrage ein Signal an die türkische Bevölkerung senden würde, das mit der grünen Türkeipolitik schwer zu vereinbaren ist. Wir würden daher den grünen Bundestagsabgeordneten empfehlen, sich bei der Abstimmung über diesen Antrag zu enthalten und dies in den eigenen Redebeiträgen mit den genannten Bedenken einerseits und unserer Solidarität mit der türkischen Bevölkerung andererseits zu begründen. Vorzuziehen wäre es, wenn die Regierung noch vor der Abstimmung zu einer belastbaren Festlegung bezüglich der Stationierungsorte gebracht werden könnte, so dass eine Zustimmung zu verantworten wäre.

  9. Lieber Felix, lieber Tim,

    vielen Dank für euren Beitrag. Ich sehe die Stationierung der Patriots auch sehr kritisch, selbst wenn euren Bedenken und Einwänden Rechnung getragen wird. Es wurden bereits einige Punkte von den Vorrednern genannt, denen ich mich teilweise anschließen kann. Über die Frage, wie realistisch ein Angriff auf die Türkei sein kann, hat sich ja selbst die Bundesregierung kritisch geäußert.  

    Doch selbst, wenn wir dem Bündnistreue-Argument folgen, taucht ein Aspekt überhaupt nicht auf in der gesamten Debatte, den ich aber für den Wichtigsten gegen die Stationierung halte. Für mich ist die Stationierung letztendlich nichts anderes – und da spielt es dann nur noch für die grüne Seele eine Rolle, ob man es jetzt Defensivwaffen nennt oder nicht – als eine weitere Militarisierung des Konflikts. Eure Argumentation, aber leider auch die Diskussion, die darüber in der Partei geführt wird, verstellt den Blick für die weit schlimmeren Probleme, die sich derzeit an der syrisch-türkischen Grenze abspielen.

    Ein aktuelles Beispiel sind die vielen Geflüchteten, die gar nicht mehr in der Türkei aufgenommen werden können. Die sehr gute Reportage im Weltspiegel von gestern dazu könnt ihr euch hier anschauen: http://www.tagesschau.de/ausland/syrische-fluechtlinge-istanbul100.html

    Ich denke, sowohl das Geld, was in diese Stationierung fließen wird als auch die politische Energie wäre an anderer Stelle, nämlich mit Blick auf die zivilen Krisen – und die schlimme Situation der Flüchtlinge ist nur ein Beispiel davon – weitaus besser angelegt. Und darauf sollten wir uns als Grüne auch konzentrieren. Ein klares Nein wäre dann nur konsequent.

    Melanie